IX ZB 36/22
BUNDESGERICHTSHOF IX ZB 36/22 BESCHLUSS vom 11. Januar 2024 in dem Insolvenzverfahren ECLI:DE:BGH:2024:110124BIXZB36.22.0 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, den Richter Dr. Schultz, die Richterin Dr. Selbmann, die Richter Dr. Harms und Kunnes am 11. Januar 2024 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 27. Juni 2022, berichtigt durch Beschluss vom 26. Juli 2022, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe: I.
Der weitere Beteiligte zu 1 wendet sich gegen seine Entlassung aus dem Amt als Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag vom 19. Mai 2021 mit Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 31. August 2021 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Die Schuldnerin ist Teil einer Unternehmensgruppe, die überwiegend Privatanlegern die Zeichnung von Nachrangdarlehen anbot. Der weitere Beteiligte zu 2 hatte der Schuldnerin ein Nachrangdarlehen gewährt.
Das Amtsgericht setzte mit Beschluss vom 21. Mai 2021 einen vorläufigen Gläubigerausschuss im Eröffnungsverfahren ein, der neben Rechtsanwalt M. aus zwei weiteren Personen bestand. Auf Vorschlag dieses Gläubigerausschusses wurde der Beteiligte zu 1 mit Beschluss vom 15. Juni 2021 zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin durch Beschluss vom 31. August 2021 ernannte das Amtsgericht den Beteiligten zu 1 (im Folgenden: Insolvenzverwalter) zum Insolvenzverwalter und setzte einen vorläufigen Gläubigerausschuss bestehend aus Rechtsanwalt M. und zwei weiteren Personen ein.
In der Zeit zwischen dem 10. Juni und dem 21. September 2021 zeigten vier Rechtsanwaltskanzleien die Vertretung von Anlegern der Schuldnerin an; insgesamt drei Rechtsanwaltskanzleien bekundeten ihr Interesse daran, Mitglied im vorläufigen oder endgültigen Gläubigerausschuss in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu werden. Mit Schreiben vom 28. September 2021 wies der Insolvenzverwalter alle Gläubiger der Schuldnerin auf die Möglichkeit hin, sich in der bevorstehenden ersten Gläubigerversammlung durch einen von zwei nachfolgend benannten Rechtsanwälten kostenlos vertreten zu lassen, falls der betreffende Gläubiger noch nicht anwaltlich vertreten oder an einer eigenen Terminswahrnehmung gehindert sei. Dem Schreiben waren vorformulierte Stimmrechtsvollmachten für Rechtsanwalt Prof. Dr. S. und für Rechtsanwalt M. beigefügt.
Der Beteiligte zu 2 hat beantragt, den Beteiligten zu 1 aus seinem Amt als Insolvenzverwalter zu entlassen. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 2 hat das Landgericht entschieden, dass der Insolvenzverwalter aus seinem Amt zu entlassen sei und die Anordnung der Entlassung dem Amtsgericht übertragen. Hiergegen wendet sich der Insolvenzverwalter mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Entlassung des Insolvenzverwalters auf Antrag eines Insolvenzgläubigers gemäß § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO vorliegen. Das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 28. September 2021 wecke berechtigte Zweifel daran, ob er in der gebotenen Weise gegenüber allen Gläubigern gleichermaßen neutral sei. Aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers oder Schuldners begründe die Benennung von zwei vom Insolvenzverwalter ausgewählten Rechtsanwälten die Gefahr, dass die Interessen derjenigen Gläubiger, die bereits zuvor einen der beiden Rechtsanwälte mandatiert hatten, infolge des Schreibens des Insolvenzverwalters mit mehr Gewicht vertreten würden. Hinzu komme, dass der Insolvenzverwalter nicht begründet habe, auf welche Kriterien er die Auswahl der Zahl und der Person der von ihm benannten Rechtsanwälte gestützt habe, und darüber hinaus nicht bereit gewesen sei, die Gläubiger auch auf die Bereitschaft anderer Rechtsanwälte hinzuweisen, weitere Gläubiger in der Gläubigerversammlung zu vertreten. Zudem habe aus Sicht eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten besorgt werden dürfen, dass die Auswahl von Rechtsanwalt M. nicht ohne Rücksichtnahme auf die Interessen des Insolvenzverwalters erfolgt sei, weil Rechtsanwalt M. sich seinerseits mit seiner ersten Äußerung im Verfahren am 19. Mai 2021 für dessen Bestellung zum Sachwalter ausgesprochen habe.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzgericht den Verwalter aus wichtigem Grund aus dem Amt entlassen. Die Entlassung kann von Amts wegen oder auf Antrag des Verwalters, des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung erfolgen. § 59 Abs. 1 Satz 2, 3 InsO in der gemäß Art. 103m Satz 1 EGInsO seit dem 1. Januar 2021 geltenden und im Streitfall anwendbaren Fassung sieht nunmehr auch eine Entlassung des Insolvenzverwalters auf Antrag des Schuldners oder eines einzelnen Insolvenzgläubigers vor. Der Schuldner und der einzelne Gläubiger können eine Entlassung des Insolvenzverwalters aber nur innerhalb von sechs Monaten nach dessen Bestellung beantragen und ihren Antrag nur auf eine fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters stützen. Insoweit handelt es sich nach der gesetzlichen Systematik um einen Unterfall des wichtigen Grundes im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO.
aa) Der Begriff der Unabhängigkeit in § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO deckt sich mit demjenigen in § 56 Abs. 1 InsO. Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Senats muss der Insolvenzverwalter nicht nur generell, sondern auch speziell im konkreten Insolvenzverfahren unabhängig sein, weil er bei der Erfüllung der Verwalteraufgaben die Interessen sämtlicher Beteiligter zu wahren hat (BGH, Beschluss vom 17. März 2016 - IX AR(VZ) 1/15, WM 2016, 837 Rn. 27; vom 13. Oktober 2016 - IX AR(VZ) 7/15, WM 2016, 2080 Rn. 22 f). Das Gesetz verpflichtet den Verwalter in § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Neutralität in sämtliche Richtungen; er darf weder Interessenvertreter des Schuldners noch einzelner Gläubiger sein (Schmidt/Ries, InsO, 20. Aufl., § 56 Rn. 23 mwN). Erst recht darf er sich nicht selbst zum Nachteil der Masse begünstigen (BGH, Urteil vom 16. März 2017 - IX ZR 253/15, BGHZ 214, 220 Rn. 21).
bb) Wie der Senat mit Beschluss vom 23. November 2023 (IX ZB 29/22, zVb) ausgeführt und näher begründet hat, können Richtlinie dafür, in welchen Fällen der Insolvenzverwalter an der Ausübung des Amts wegen fehlender Unabhängigkeit im konkreten Insolvenzverfahren gehindert ist, die gesetzlichen Grundsätze sein, nach denen auch ein Richter entweder von Amts wegen ausgeschlossen wäre (§ 41 ZPO) oder gegen ihn ein Befangenheitsgesuch wegen Interessenkollision erfolgreich gestellt werden könnte. Die in Rechtsprechung und Literatur zur Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO gebildeten Fallgruppen sind auf den Insolvenzverwalter dagegen nicht übertragbar. Auch führen Pflichtverletzungen des Insolvenzverwalters nicht stets dazu, dass zugleich seine Unabhängigkeit beeinträchtigt ist. Begeht der Insolvenzverwalter Pflichtverletzungen, können diese zwar unter dem Gesichtspunkt des wichtigen Grundes zur Entlassung nach § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO führen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2012 - IX ZB 25/11, WM 2012, 331 Rn. 13; vom 26. April 2012 - IX ZB 31/11, WM 2012, 1127 Rn. 17). Insoweit besteht jedoch kein Antragsrecht eines Insolvenzgläubigers, das dieser im Wege der Beschwerde nach § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO weiterverfolgen könnte. Lediglich wenn aufgrund der Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters zugleich seine fehlende Unabhängigkeit zu Tage tritt, kann ein Antragsrecht eines Insolvenzgläubigers nach § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO in Frage kommen.
b) Gemessen hieran hat die Entscheidung des Beschwerdegerichts, die eine fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters allein mit dessen Schreiben vom 28. September 2021 begründet, keinen Bestand.
aa) Das Beschwerdegericht legt seiner Entscheidung bereits einen unzutreffenden Maßstab zugrunde. Zu Unrecht meint es, die Prüfung der Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters von den Gläubigern und dem Schuldner sei analog § 42 ZPO als Besorgnis der Befangenheitsprüfung durchzuführen. Eine analoge Anwendung von § 42 ZPO kommt - wie der Senat mit Beschluss vom 23. November 2023 (IX ZB 29/22, zVb) entschieden und näher begründet hat nicht in Betracht.
bb) Rechtsfehlerhaft nimmt das Beschwerdegericht weiter an, mit dem Versand des Schreibens vom 28. September 2021 liege eine Verhaltensweise vor, die aus Sicht eines vernünftigen Gläubigers berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Insolvenzverwalters begründen muss.
Allerdings war das Verhalten des Insolvenzverwalters - wie der Senat mit Beschluss vom 23. November 2023 (IX ZB 29/22, zVb) in einem Verfahren betreffend eine Schwestergesellschaft der Schuldnerin entschieden und näher begründet hat - pflichtwidrig. Das an die Insolvenzgläubiger gerichtete Schreiben vom 28. September 2021 ist geeignet, Einfluss auf die Zusammensetzung des endgültigen Gläubigerausschusses zu nehmen. Diese Vorgehensweise widerspricht geltendem Recht.
Jedoch kann aus einer Pflichtwidrigkeit des Insolvenzverwalters nicht automatisch auf seine fehlende Unabhängigkeit geschlossen werden. Die Schlussfolgerung des Beschwerdegerichts, das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 28. September 2021 rechtfertige aus der Sicht eines vernünftigen Gläubigers die Besorgnis, der Insolvenzverwalter werde einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen gegenüber anderen bevorzugen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand (vgl. Beschluss des Senats vom 23. November 2023 - IX ZB 29/22 in einem Verfahren betreffend eine Schwestergesellschaft der Schuldnerin).
cc) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich nicht aus einem anderen Grund als richtig dar, § 577 Abs. 3 ZPO. Ob die Versendung des Schreibens vom 28. September 2021 einen zur Entlassung des Insolvenzverwalters führenden wichtigen Grund im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 InsO darstellt, kann dahinstehen. Dies kann der antragstellende Gläubiger, der seinen Antrag nach § 59 Abs. 1 Satz 3 InsO allein auf die fehlende Unabhängigkeit des Insolvenzgläubigers stützen kann, mit seiner Beschwerde nicht geltend machen.
3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts war danach auf die Rechtsbeschwerde des Insolvenzverwalters aufzuheben und die Sache mangels Endentscheidungsreife an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Dem Beschwerdegericht muss Gelegenheit zur Prüfung gegeben werden, ob die weiteren von dem Beteiligten zu 2 vorgetragenen Umstände und Verhaltensweisen des Insolvenzverwalters dessen Entlassung wegen fehlender Unabhängigkeit rechtfertigen.
Schoppmeyer Schultz Selbmann Harms Kunnes Vorinstanzen: AG Leipzig, Entscheidung vom 01.12.2021 - 401 IN 1000/21 LG Leipzig, Entscheidung vom 27.06.2022 - 8 T 27/22 -