XIII ZB 20/22
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XIII ZB 20/22 vom
5. März 2024 in der Abschiebehaftsache Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja GG Art. 104 Abs. 2; FamFG § 422 Abs. 2 Wird einer Haftbeschwerde nach erneuter Anhörung des Betroffenen teilweise abgeholfen und die Haft im Übrigen aufrechterhalten, ist der Vollzug der Haft ab dem Tag, an dem der Teilabhilfebeschluss wirksam wird, rechtmäßig.
BGH, Beschluss vom 5. März 2024 - XIII ZB 20/22 - LG Hannover AG Hannover ECLI:DE:BGH:2024:050324BXIIIZB20.22.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2024 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt, die Richterin Dr. Holzinger und den Richter Dr. Kochendörfer beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 53. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 18. Januar 2022 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Verfahrenskostenhilfeantrag wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, reiste 2016 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Verfahren endete rechtskräftig mit der Ablehnung des Antrags. Seit dem 3. Juni 2021 ist die dem Betroffenen angedrohte Abschiebung vollziehbar. Mit Schreiben vom 6. August 2021 wurde er vorgeladen und gemäß § 60b AufenthG über die Voraussetzungen des § 62 AufenthG sowie seine Mitwirkungspflichten belehrt. Der Betroffene erklärte, dass er nicht freiwillig ausreisen werde. Eine am 25. November 2021 versuchte Abschiebung scheiterte, weil der Betroffene nicht angetroffen wurde. Daraufhin wurde er erneut in seiner Landessprache belehrt. Gleichwohl musste er in der Folgezeit nach unbekannt abgemeldet werden. Als die Zahlung der Sozialhilfe auf Barauszahlung umgestellt wurde, erschien er am 14. Dezember 2021 beim zuständigen Sozialamt und wurde festgenommen.
Das Amtsgericht hat nach Anhörung Abschiebungshaft bis zum 15. Februar 2022 angeordnet und die Sache sodann an das für den Haftort zuständige Amtsgericht abgegeben. Nachdem der Betroffene Beschwerde eingelegt hatte, hat ihn das Amtsgericht erneut im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten angehört. Mit Beschluss vom 7. Januar 2022 hat es der Beschwerde teilweise abgeholfen und festgestellt, dass der Beschluss vom 15. Dezember 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, soweit bis zum 6. Januar 2022 Haft vollzogen worden war. Im Übrigen hat es das Verfahren dem Beschwerdegericht vorgelegt, das die Beschwerde nach Maßgabe des Teilabhilfebeschlusses zurückgewiesen hat. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und beantragt, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen.
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, soweit das Amtsgericht am 15. Dezember 2021 gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen habe, sei dieser Verstoß durch die erneute Anhörung am 7. Januar 2022 geheilt worden. Bedenken gegen die Reisefähigkeit bestünden nicht, weil die von der Anstaltsärztin geforderte medikamentöse Versorgung für drei Tage und eine ärztliche Begleitung auf dem Flug sichergestellt sei. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Die beteiligte Behörde sei zunächst von der Möglichkeit einer Abschiebung am 4. Januar 2022 ausgegangen. Nachdem sie nach der Festnahme Erkenntnisse zu Gewaltdelikten des Betroffenen erlangt habe, habe sie einen neuen Flug benannt, bei dem die notwendigen Sicherheitsbedingungen gewährleistet gewesen seien.
Die gemäß § 70 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
a) Ein zulässiger Haftantrag liegt vor. Den von der Rechtsbeschwerde erhobenen Einwänden ist kein Erfolg beschieden.
aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7).
bb) Diese Anforderungen sind hier erfüllt.
(1) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, es liege kein zulässiger Haftantrag vor, weil Haft am 15. Dezember 2021 nur bis zum 4. Januar 2022 beantragt worden sei, kommt es darauf im vorliegenden Verfahren nicht mehr an. Jedenfalls vor der Anhörung am 7. Januar 2022 wurde dem Betroffenen der um den Antrag auf Haft bis zum 15. Februar 2022 ergänzte Haftantrag vom 15. Dezember 2021 nebst weiterer Ergänzung der beteiligten Behörde vom 7. Januar 2022, die (erneut) einen Antrag auf Anordnung von Haft bis zum 15. Februar 2022 enthält, übersetzt und übergeben.
(2) Der Haftantrag enthält auch ausreichende Angaben zur Durchführung der Abschiebung. Es wird ein konkretes Flugdatum für eine Sammelabschiebung benannt und ausgeführt, dass eine frühere Abschiebung mit einem Linienflug wegen der erforderlichen Sicherheitsbegleitung nicht möglich sei sowie die Rückführung frühestens am 15. Februar 2022 erfolgen könne.
b) Auf den Einwand der Rechtsbeschwerde, durch die Möglichkeit der Heilung des Verstoßes gegen das faire Verfahren werde es den Tatgerichten ermöglicht, Betroffene trotz erkannter Rechtswidrigkeit der Haft rechtswidrig in Haft zu halten und der Betroffene hätte entweder entlassen oder aber jedenfalls spätestens am 23. Dezember 2021 angehört werden müssen, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an. Es ist bereits festgestellt, dass die Haft bis zum 6. Januar 2022 rechtswidrig war. Der Vollzug der Haft am 7. Januar 2022 war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht rechtswidrig, weil die Haft an diesem Tag aufrechterhalten wurde.
c) Das Beschwerdegericht hat zu Recht keinen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz darin gesehen, dass die Abschiebung aufgrund der erforderlichen Sicherheitsbegleitung mit dem frühestmöglichen Sammelcharter am 15. Februar 2022 erfolgen sollte.
aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus, verlangt aber, dass sie die Abschiebung oder Überstellung ohne unnötige Verzögerung betreibt und die Dauer der Sicherungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird. Ein Verstoß gegen dieses Gebot führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht weiter aufrechterhalten werden darf (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2022 - XIII ZB 116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 11 mwN).
bb) Die Würdigung des Beschwerdegerichts, dass die beteiligte Behörde bei der Planung und Durchführung der Abschiebung den sich aus dem Beschleunigungsgebot ergebenden Anforderungen gerecht geworden ist, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zu Recht nimmt das Beschwerdegericht an, dies ergebe sich aus dem Bemühen der Behörde, den Betroffenen auf den frühestmöglichen Linienflug am 4. Januar 2022 zu buchen und dem Umstand, dass aufgrund der sodann zu Tage getretenen Erforderlichkeit der Sicherheitsbegleitung der nächstmögliche Sammelcharter in Anspruch genommen wurde. Dem tritt die Rechtsbeschwerde nur mit der pauschalen Behauptung entgegen, dies sei nicht genügend.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG. Der Verfahrenskostenhilfeantrag ist wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Kirchhoff Holzinger Roloff Tolkmitt Kochendörfer Vorinstanzen: AG Hannover, Entscheidung vom 07.01.2022 - 38 XIV 51/21 B LG Hannover, Entscheidung vom 18.01.2022 - 53 T 3/22 -