VIa ZR 1163/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1163/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 30. April 2024 Neumayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:300424UVIAZR1163.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 29. März 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 51.038,59 € nebst Zinsen und der Berufungsantrag zu 3 zurückgewiesen worden sind.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf bis 65.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb am 20. Januar 2012 ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug BMW X6 x-Drive 30d, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N57 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht im Hinblick auf die Frage, ob eine Schadensersatzhaftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Betracht komme, zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Berufungsantrag zu 1 (Hauptforderung nebst Zinsen) in der tenorierten Höhe und den Berufungsantrag zu 3 (Rechtsverfolgungskosten) weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
A.
Das Rechtsmittel ist uneingeschränkt statthaft. Das angefochtene Urteil unterliegt aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht in vollem Umfang, d.h. sowohl in Bezug auf einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB als auch wegen eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Mit Rücksicht auf die insofern geltenden Maßstäbe (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 17 mwN) kommt eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung etwa im Sinne einer auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV beschränkten Eröffnung des Rechtswegs nicht in Betracht. Denn die Ansprüche auf den „großen Schadensersatz“ einerseits und auf den Differenzschaden andererseits knüpfen jeweils im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags an. Sie unterscheiden sich lediglich durch unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 45). Ungeachtet bestimmter unterschiedlicher Voraussetzungen haben die Ansprüche deshalb eine Vielzahl von Gesichtspunkten gemeinsam. Danach liegen weder unterschiedliche Streitgegenstände vor, noch kann von einem abtrennbaren Teil eines prozessualen Anspruchs die Rede sein.
B.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB insofern nicht hinreichend dargetan, als er entsprechende Behauptungen willkürlich und ohne greifbare Anhaltspunkte hierfür aufgestellt habe. So beträfen die angeführten Umstände teilweise Fahrzeuge anderer Typen und Fahrzeuge mit anderen Motoren, deren Vergleichbarkeit nicht dargetan worden sei. Da das Fahrzeug nicht über ein AdBlue-System verfüge und auch die Verwendung eines NOx-Speicherkatalysators nicht dargetan worden sei, könne diesbezügliches Vorbringen dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfen. Soweit eine Abhängigkeit der Rate der Abgasrückführung von bestimmten Parametern behauptet und teilweise nicht bestritten worden sei, rechtfertige die Verwendung entsprechender Vorrichtungen jedenfalls nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Denn es fehle jeweils am Prüfstandsbezug. Auch habe der Kläger keine anderen Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Verantwortlichen der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und dass sie einen darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil in den genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze im Hinblick auf den geltend gemachten Schaden lägen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Götz Rensen Vogt-Beheim Vorinstanzen: LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 08.12.2020 - 3 O 229/20 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 28.07.2022 - I-5 U 5/21 -