VIa ZR 612/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 612/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 23. Januar 2024 Neumayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:230124UVIAZR612.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 6. April 2022 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin erwarb am 12. Mai 2014 von einer Dritten für 104.442 € ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug BMW 740d xDrive, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N57 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.
Die Klägerin hat, gestützt auf die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen und insbesondere eines Thermofensters, zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Antrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Antrag zu 2) und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Antrag zu 3) beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Berufung der Klägerin sei zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe und die übrigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO vorlägen. Zur Begründung werde auf den vorausgegangenen Hinweis Bezug genommen. Mit der Gegenerklärung habe die Klägerin nicht ein einziges der im Hinweisbeschluss genannten Verfahren aufgegriffen, sondern unter Verwendung von Textbausteinen bereits getätigtes Vorbringen wiederholt.
In dem in Bezug genommenen Hinweis hatte der Vorsitzende des Berufungsgerichts insbesondere auf einige jeweils mit Aktenzeichen näher bezeichnete Verfahren beim Oberlandesgericht München verwiesen. An den genannten Verfahren, die sämtliche Motoren des Typs N57 beträfen, seien die Prozessbevollmächtigten der Klägerin beteiligt gewesen. Der Senat mache sich die Erwägungen der dort getroffenen Entscheidungen zu eigen, Wiederholungen seien nicht veranlasst.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Die vor dem Hintergrund des § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht unbedenkliche Vorgehensweise des Berufungsgerichts, seine Entscheidung unter pauschaler Bezugnahme auf Verfahren bei dem Oberlandesgericht München, an denen die Klägerin selbst nicht beteiligt war, zu begründen, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Denn zum einen liegt in einer Bezugnahme auf eine nicht zwischen den Parteien ergangene Entscheidung zu Begründungszwecken kein Verstoß gegen § 547 Nr. 6 ZPO, sofern die in Bezug genommene Entscheidung Gegenstand der mündlichen Verhandlung war und die Parteien deshalb Gelegenheit hatten, sich damit auseinanderzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1962 - I ZB 27/62, BGHZ 39, 333, 346 mwN zu § 551 Nr. 7 ZPO aF). Dies ist entgegen der Auffassung der Revision der Fall. Die Klägerin hatte wegen der Bezugnahme schon im Hinweis hinreichend Gelegenheit zu einer Auseinandersetzung; sie hat in der Gegenerklärung auch keine Einwände gegen die Bezugnahme erhoben. Zum anderen zeigt die Revision eine Entscheidungserheblichkeit des gerügten Rechtsverstoßes im Sinne des § 545 Abs. 1 ZPO nicht auf.
2. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch die Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH,
Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere steht einem Schadensersatzanspruch nicht entgegen, dass ein Fahrzeug zu gewerblichen Zwecken erworben worden ist. Vielmehr kommt es auf den Verwendungszweck im Einzelnen nicht an, solange das Fahrzeug nur auch zur Verwendung im Straßenverkehr erworben worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2023 - VIa ZR 1425/22, zVb Rn. 29). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten insbesondere nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Rensen Krüger Katzenstein Götz Vorinstanzen: LG Landshut, Entscheidung vom 21.12.2021 - 25 O 2074/21 OLG München, Entscheidung vom 06.04.2022 - 28 U 465/22 -