6 StR 551/23
BUNDESGERICHTSHOF StR 551/23 BESCHLUSS vom 23. Januar 2024 in der Strafsache gegen wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:230124B6STR551.23.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2024 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. August 2023, soweit es ihn betrifft, aufgehoben a) im Ausspruch über die Strafe im Fall II.2 der Urteilsgründe, b) im Gesamtstrafenausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Wohnungseinbruchdiebstahls mit Waffen sowie wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsanordnung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den zu Fall II.2 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen hielten der Angeklagte und der Mitangeklagte den Zeugen R. über mehrere Stunden in einem Kellerraum fest. In dieser Zeit rief der Mitangeklagte die Mutter und die Großmutter des Opfers an und teilte ihnen jeweils mit, der Zeuge sei in ihrer Gewalt und sie würden ihm etwas antun, wenn die Verwandten nicht 5.000 Euro zahlten. Während dieser Telefonate schlug der Angeklagte auf das Opfer ein, um die Drohungen zu untermauern. Da die Mutter und die Großmutter des Opfers sich weigerten, Geld zu zahlen, erkannten die Angeklagten schließlich, dass sie mit ihren Forderungen gescheitert waren. Sie ließen es jedoch erst frei, als zwei unbekannt gebliebene Männer die Angeklagten aufforderten, das Opfer gehen zu lassen. Der Mitangeklagte ließ sich von dem Opfer zuvor noch die ratenweise Zahlung von 5.000 Euro zusagen. Dass sich der Angeklagte an dieser Forderung beteiligte, hat die Strafkammer nicht feststellen können.
2. Der Strafausspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Die Strafkammer hat das Vorliegen tätiger Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB verneint, weil der Angeklagte nicht „freiwillig“ von der Tat zurückgetreten sei. Das ist rechtsfehlerhaft.
Tätige Reue im Sinne des § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB liegt schon dann vor, wenn der Täter das Opfer unter vollständigem Verzicht auf die erstrebte Leistung in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. September 2016 – 1 StR 293/16, NStZ 2017, 412; vom 24. März 2020 – 6 StR 18/20, NStZ-RR 2020, 347; Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 239a Rn. 33 ff.). Die Vorschrift setzt keine Freiwilligkeit voraus. Dies folgt aus ihrem Wortlaut und dem Gegenschluss zu anderen Regelungen (wie etwa § 306e sowie § 320 StGB), bei denen tätige Reue ein freiwilliges Handeln des Täters voraussetzt. Es kommt daher nicht darauf an, aus welchen Motiven der Täter handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2003 – 1 StR 152/03, NStZ 2003, 605; vom 24. März 2020 – 6 StR 18/20, NStZ-RR 2020, 347; Eisele in Schönke/Schröder, aaO, Rn. 40; Rengier, Strafrecht BT II, 24. Aufl., § 24 Rn. 41).
Dass die Angeklagten – naheliegender Weise – auch in Anbetracht der Erkenntnis fehlender Erfolgsaussicht vom Geschädigten abließen, steht der Annahme tätiger Reue mithin nicht entgegen.
Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen von § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB vor: So hat der Angeklagte vollständig und endgültig auf die Geldforderung verzichtet. Die Anwendung der Vorschrift scheidet auch nicht deshalb aus, weil der Mitangeklagte das Opfer nur gegen das Versprechen in die Freiheit entließ, 5.000 Euro ratenweise zu zahlen. Denn die Voraussetzungen des § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB sind für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, aaO, Rn. 42; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 239a Rn. 99).
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der im Fall II.2 der Urteilsgründe festgesetzten Strafe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB zur Annahme eines minder schweren Falls im Sinne des § 239a Abs. 2 StGB oder einer Strafrahmenverschiebung und damit zu einer milderen Sanktion gelangt wäre. Die Aufhebung der Strafe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage. Da lediglich ein Wertungsfehler vorliegt, können die getroffenen Feststellungen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
Feilcke von Schmettau Tiemann Arnoldi Wenske Vorinstanz: Landgericht Lüneburg, 15.08.2023 - 111 KLs 4/23