IV ZR 357/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 357/21 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 19. Juni 2024 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:190624UIVZR357.21.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 22. Mai 2024 für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 1. Oktober 2021 unter Verwerfung der Revision im Übrigen und Zurückweisung der vorsorglich eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seiner Klage in Höhe von 48.376,22 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions- und des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisions- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 50.077,65 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen der P AG (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin), begehrt aus behauptet abgetretenem Recht die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von vierzehn zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und verschiedenen Versicherungsnehmern im sogenannten Policenmodell zustande gekommenen Lebens- beziehungsweise Rentenversicherungsverträgen.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten schloss im Zeitraum zwischen dem 26. Mai 1997 und dem 23. Februar 2001 policierte Versicherungsverträge mit den Versicherungsnehmern H (im Folgenden: VN 1), W
(VN 2), R (VN 3), F (vormals P
) (VN 4) und M
(VN 5),
sowie zwischen dem 29. November 2001 und dem 9. Dezember 2003 policierte Verträge mit den Versicherungsnehmern Alexandra G
(VN 6), Hannes S
(VN 7), Cornelia S
(VN 8), E
(VN 9),
Inge G
(VN 10), T
(VN 11), W (VN 12) und Th
(VN 13) und den am 18. Juli 2006 policierten Vertrag mit dem Versicherungsnehmer L
(VN 14).
Die VN 1, deren Versicherungspolice vom 26. Mai 1997 datiert, hatte bereits mit Erklärung vom 22. April 1997 ihre Rechte und Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag unter Einschluss auch der im Todesfall entstehenden Ansprüche aus allen mit der Lebensversicherung verbundenen Zusatzversicherungen zur Absicherung von Darlehensforderungen an eine Bausparkasse abgetreten.
Die durch Fettdruck drucktechnisch hervorgehobene Widerspruchsbelehrung in den Versicherungsscheinen der VN 1 bis 13 lautete jeweils:
"Mit diesem Versicherungsschein und den beigefügten Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen (...) haben Sie die Verbraucherinformation gemäß § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) vollständig erhalten. Wir weisen Sie darauf hin, daß damit die 14-tägige Frist für das Widerspruchsrecht gemäß § (...) der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (...) beginnt. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs." Der VN 14 wurde auf Seite 6 seines Versicherungsscheins durch Fettdruck drucktechnisch hervorgehoben über das ihm zustehende Widerspruchsrecht wie folgt belehrt:
"Mit diesem Versicherungsschein und den beigefügten Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen sowie den Fondsinformationen haben Sie die Verbraucherinformation gemäß § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) vollständig erhalten. Wir weisen Sie darauf hin, dass damit die 30-tägige Frist für das Widerspruchsrecht gemäß § 6 Abs. 1 der Allgemeinen Bedingungen für Lebensversicherungen mit Orientierung Altersvorsorge (Rentenversicherung, Fondsgebundene Rentenversicherung bzw. Sofortbeginnende Rentenversicherung) beginnt. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs." Sämtliche Versicherungsnehmer verkauften alle Rechte und Pflichten aus den Versicherungsverträgen in den Jahren 2009 bis 2012 an die nunmehrige Insolvenzschuldnerin und erklärten eine Abtretung an diese, deren Umfang und Wirksamkeit hinsichtlich des Widerspruchsrechts zwischen den Parteien streitig ist. Die nunmehrige Insolvenzschuldnerin erklärte in der Folgezeit die Kündigung der einzelnen Versicherungsverträge und erhielt von der Beklagten errechnete Rückkaufswerte ausgezahlt.
Mit Beschluss vom 1. April 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 23. Februar 2017 widersprach er dem Zustandekommen sämtlicher Versicherungsverträge.
Mit der Klage verlangt der Kläger im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung Rückzahlung der eingezahlten Prämien zuzüglich gezogener Nutzungen abzüglich der ausgezahlten Rückkaufswerte und Risikokosten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er hat außerdem, soweit die Revision nicht zugelassen worden ist, Beschwerde gegen diese Nichtzulassung der Revision erhoben.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur überwiegenden Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat einen Zahlungsanspruch des Klägers aufgrund erklärter Widersprüche verneint. Über die Wirksamkeit der Abtretung müsse nicht entschieden werden. Jedenfalls sei der Kläger im Jahr 2017 nicht mehr berechtigt gewesen, dem Abschluss der unstreitig im sogenannten Policenmodell geschlossenen Verträge nach § 5a VVG a.F. zu widersprechen. Die Widerspruchserklärungen seien verfristet gewesen,
weil Fehler in den Widerspruchsbelehrungen den Beginn der Widerspruchsfrist nicht gehindert hätten. Das Fehlen des Hinweises auf die einzuhaltende Form des Widerspruchs (VN 1 bis 5: Schriftform; VN 6 bis 14: Textform) in den erteilten Belehrungen sei abstrakt nicht dazu geeignet, den durchschnittlichen Versicherungsnehmer daran zu hindern, das ihm zustehende Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Folge man nicht der Auffassung, dass die Widerspruchsfrist zu laufen begonnen habe, sei das Widerspruchsrecht jedenfalls ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG aller hier maßgeblichen Fassungen erloschen. Die vorgenannte Regelung gelte weiter, wenn der Versicherungsnehmer zwar fehlerhaft belehrt, dieser Belehrungsmangel aber abstrakt nicht geeignet sei, ihn daran zu hindern, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Bezüglich der VN 1 stehe einem Bereicherungsanspruch des Klägers jedenfalls der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen, da sie die ihr aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zustehenden Rechte und Ansprüche bereits vor dessen Abschluss unter Einschluss auch der im Todesfall entstehenden Ansprüche aus allen mit der Lebensversicherung verbundenen Zusatzversicherungen zur Absicherung von Darlehensforderungen an die Bausparkasse abgetreten habe. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung sowie die Abtretung auch der Todesfallleistung hätten bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrages begründen dürfen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung hinsichtlich der Ansprüche aus den Versicherungsverträgen der VN zu 2 bis 14 nicht stand. Insoweit kann dem Kläger ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB, § 80 Abs. 1 InsO nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.
1. Die Revision ist allerdings unzulässig, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers aus dem Versicherungsvertrag der VN 1 verneint hat. Die Revision ist insoweit mangels Zulassung nicht statthaft, denn das Berufungsgericht hat die Revisionszulassung wirksam auf die Frage beschränkt, ob ein geringfügiger Belehrungsmangel zum Ausschluss des Widerspruchsrechts geführt hat, und damit auf Ansprüche aus den Versicherungsverträgen der VN zu 2 bis 14.
Bereits die Entscheidungsformel des Berufungsurteils spricht eine beschränkte Zulassung der Revision aus. Aus den dort in Bezug genommenen Entscheidungsgründen ergibt sich die wirksame Beschränkung hinreichend klar. Sie ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs stellt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. September 2023 - IV ZR 123/21, juris Rn. 8 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Berufungsgericht hat die Zulassung ausschließlich mit der Klärungsbedürftigkeit der Fragen begründet, ob die Widerspruchsfrist auch bei einer zwar fehlerhaften Belehrung zu laufen beginnt, deren Mangel aber abstrakt nicht geeignet ist, den Versicherungsnehmer daran zu hindern, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, sowie ob eine richtlinienkonforme Reduktion des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. in diesem Fall geboten ist. Da die genannten Fragen hinsichtlich der Ansprüche aus dem Vertrag der VN 1 angesichts der selbstständig tragenden Begründung des Berufungsgerichts, das einen Anspruch insoweit jedenfalls wegen Rechtsmissbrauchs verneint hat, nicht entscheidungserheblich waren, hat es damit die Revisionszulassung auf die aus den Versicherungsverträgen der VN 2 bis 14 herrührenden Ansprüche beschränkt.
2. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie begründet.
a) Das Berufungsgericht hat allerdings ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten die jeweiligen Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG in der jeweils maßgeblichen Fassung über das Widerspruchsrecht belehrte. Die Widerspruchsbelehrung enthielt jeweils keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Schriftform (VN 2 bis 5) beziehungsweise Textform (VN 6 bis 14) des Widerspruchs. Dieses Formerfordernis konnten die jeweiligen Versicherungsnehmer nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 10; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24; jeweils m.w.N.).
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, einem fortbestehenden Widerspruchsrecht stehe entgegen, dass der vorgenannte Belehrungsfehler nicht geeignet gewesen sei, die Versicherungsnehmer jeweils von der Ausübung eines fristgerechten Widerspruchs abzuhalten.
Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung mit Urteil vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21, BGHZ 236, 163) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist ein Bereicherungsanspruch nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen, wenn dem Versicherungsnehmer durch eine fehlerhafte Information in der Widerspruchsbelehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Unter diesen (engen) Voraussetzungen liegt ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, der einer Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 242 BGB entgegensteht.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts wurde den Versicherungsnehmern jedoch hier durch den fehlenden Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der jeweils maßgeblichen Fassung erforderliche Form des Widerspruchs die Möglichkeit genommen, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 15. März 2023 (IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, liegt kein geringfügiger Belehrungsfehler im oben genannten Sinne vor, wenn eine Widerspruchsbelehrung keinen Hinweis auf die nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Form (hier: Schriftform für die VN 2 bis 5; Textform für die VN 6 bis 14) enthielt. Allein dem in der Belehrung enthaltenen Hinweis, dass zur Wahrung der Frist rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung genüge, wird der Versicherungsnehmer nicht entnehmen, dass ein Widerspruch in Schriftform beziehungsweise Textform erforderlich ist. Vielmehr wird er - anders als das Berufungsgericht meint annehmen, dass ein formloser Widerspruch ebenfalls genügt (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 aaO Rn. 16 ff.).
III. Das angefochtene Urteil ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung sowie zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
IV. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Die Richtlinienkonformität des Policenmodells ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Zum Einwand von Treu und Glauben ist auch hier eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht erforderlich (vgl. Senatsurteil vom 19. Juli 2023 - IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 13 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ 238, 32 vorgesehen). Dabei hat der Senat die Erfolgsaussichten einer Revision geprüft und verneint (vgl. BVerfGK 19, 467, 475; 18, 105, 111 f.; 6, 79, 81 ff.). Ergänzend wird auf die Senatsurteile vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21, BGHZ 236, 163 Rn. 13 ff.) und vom 19. Juli 2023 (aaO Rn. 9 m.w.N.) verwiesen.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen: LG Düsseldorf, Entscheidung vom 08.04.2019 - 9 O 56/18 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 01.10.2021 - 4 U 64/19 -