Paragraphen in 6 StR 521/23
Sortiert nach der Häufigkeit
Häufigkeit | Paragraph | |
---|---|---|
5 | 64 | StGB |
3 | 73 | StGB |
1 | 2 | StGB |
1 | 354 | StPO |
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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 521/23 URTEIL vom 15. Mai 2024 in der Strafsache gegen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:150524U6STR521.23.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Mai 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Feilcke, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Richterin am Bundesgerichtshof von Schmettau, Richter am Bundesgerichtshof Arnoldi als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 30. Juni 2023 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben a) im Maßregelausspruch; b) soweit eine den Betrag von 882.765 Euro übersteigende Einziehung des Wertes von Taterträgen unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen und weiterer Betäubungsmittelstraftaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und zwei Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit einem Vorwegvollzug eines Teils der Strafe und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 882.765 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts wirksam auf die Maßregelanordnung sowie die Höhe des Einziehungsbetrags beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Die angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat keinen Bestand.
Der Senat hat seiner Entscheidung die am 1. Oktober 2023 in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB, die strengere Anforderungen an die Annahme eines Hangs, den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat sowie an die Erfolgsprognose stellt, zugrunde zu legen (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. März 2024 – 4 StR 473/23, Rn. 2; vom 7. Februar 2024 – 6 StR 577/23, Rn. 6). Bei ihrer vor Inkrafttreten der Neuregelung getroffenen Entscheidung hat die Strafkammer diesen strengeren Anforderungsmaßstab nicht anwenden können. Weder ihre Erwägungen zum Vorliegen eines Hangs noch diejenigen zum symptomatischen Zusammenhang genügen diesem Maßstab; auf die weiteren Voraussetzungen der Maßregel kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an.
a) Die Urteilsgründe belegen schon nicht das Vorliegen eines Hangs. Ein solcher setzt nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB eine Substanzkonsumstörung voraus, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Beide Merkmale – schwerwiegend und dauernd – müssen im betroffenen Lebensbereich kumulativ erfüllt sein (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2023 – 6 StR 327/23, Rn. 12; Beschluss vom 23. Januar 2024 – 3 StR 455/23, Rn. 17 f.).
Das sachverständig beratene Landgericht hat seine Annahme eines Hangs damit begründet, dass der Angeklagte von Kokain abhängig sei. Es hat indes weder festgestellt noch belegt, dass diese Abhängigkeitserkrankung zu einer dauernden und schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder Leistungsfähigkeit des Angeklagten geführt hat. Auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist eine Substanzkonsumstörung eines solchen Schweregrades nicht ersichtlich; vielmehr war der Angeklagte ausweislich der zu seiner Person getroffenen Feststellungen in der Lage, seinen Betäubungsmittelkonsum vor seiner Lebensgefährtin zu verheimlichen, zudem ging er bis zu seiner Festnahme auch einer legalen Berufstätigkeit nach und litt nach seiner Inhaftierung nicht unter körperlichen Entzugserscheinungen.
b) Der erforderliche symptomatische Zusammenhang ist ebenfalls nicht hinreichend belegt. Nach der Neufassung des § 64 StGB muss die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Eine bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht nach dem Willen des Gesetzgebers nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung – festzustellen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.; BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2024 – 6 StR 549/23, Rn. 4; vom 25. Oktober 2023 – 5 StR 246/23, Rn. 3).
Die Feststellungen ergeben nicht, dass die vom Landgericht angenommene Kokainabhängigkeit des Angeklagten für die Anlasstaten in diesem Sinne überwiegend ursächlich war. Zum symptomatischen Zusammenhang hat es ausgeführt, dass die verfahrensgegenständlichen Taten dem Angeklagten neben der Finanzierung eines Lebensstandards, den er sich mit seinen Einkünften aus legaler Tätigkeit nicht hätte leisten können, „auch“ dazu dienten, sich aus den zum Handeltreiben erworbenen Betäubungsmittelmengen die „zur Befriedigung seiner Sucht erforderliche (tägliche) Dosis zu nehmen“. Damit ist zwar eine – nach § 64 StGB aF ausreichende – Mitursächlichkeit des Hangs für die Anlasstaten dargetan; ein quantitatives Überwiegen des Hangs des Angeklagten gegenüber seinem suchtunabhängigen Verhalten zum Zwecke der Finanzierung seines Lebensunterhalts ist hierdurch aber nicht belegt.
c) Die Aufhebung der Maßregel zieht den Wegfall der Anordnung des Vorwegvollzugs nach sich.
2. Die Einziehungsentscheidung hat keinen Bestand, soweit über den Betrag von 882.765 Euro hinaus eine Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) unterblieben ist.
a) Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass das Landgericht bei seiner Einziehungsentscheidung Taterträge des Angeklagten aus den Taten II.3, II.5 und II.13 der Urteilsgründe unberücksichtigt gelassen hat. Es hat festgestellt, dass der Angeklagte bei diesen Taten 300 g Methamphetamin (Fall II.3), 190 g Kokain (Fall II.5) und 5 kg Marihuana (Fall II.13) veräußert hat. Zudem ist es – was sich jedenfalls aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt – davon ausgegangen, dass der Angeklagte auch in diesen Fällen Gelder erlangt hat. Gleichwohl hat es insoweit „von einer Einziehung Abstand genommen“, weil es sich außerstande gesehen hat, die jeweiligen Verkaufspreise festzustellen.
Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Strafkammer hat es versäumt, die vom Angeklagten in diesen drei Fällen erzielten Verkaufspreise gemäß § 73d Abs. 2 StGB zu schätzen. Zwar setzt dies voraus, dass das Tatgericht über eine sichere Schätzungsgrundlage verfügt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2024 – 6 StR 533/23, Rn. 6; vom 18. April 2023 – 6 StR 256/22, Rn. 17; vom 23. Januar 2020 – 3 StR 27/19, Rn. 17). Eine solche stand dem Landgericht hier aber zur Verfügung. Denn für die zahlreichen weiteren verfahrensgegenständlichen Taten – bei denen der Angeklagte zumeist ebenfalls mit Methamphetamin, Kokain und Marihuana Handel trieb – hat es die jeweiligen Kauf- bzw. Verkaufspreise feststellen können. Damit lagen hinreichende Erkenntnisse über die vom Angeklagten bei seinen Abnehmern im Tatzeitraum erzielten Preise vor; diese hätte das Landgericht – naheliegend mit einem Sicherheitsabschlag – einer Schätzung zugrunde legen können.
b) Zudem ist dem Landgericht – worauf es in den Urteilsgründen selbst hingewiesen hat – im Fall II.8 in Höhe von 500 Euro ein Rechenfehler zugunsten des Angeklagten unterlaufen. Aus dieser Tat erlangte der Angeklagte 49.450 und nicht lediglich 48.950 Euro.
3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die jeweils zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insoweit widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Sander Feilcke Tiemann von Schmettau Arnoldi Vorinstanz: Landgericht Halle, 30.06.2023 - 3 KLs 506 Js 4918/22 (13/22)
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