AK 57/24
BUNDESGERICHTSHOF AK 57+58/24 StB 38/24 BESCHLUSS vom 26. Juni 2024 in dem Ermittlungsverfahren gegen
1. 2.
wegen zu 1.: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer u.a.
zu 2.: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:260624BAK57.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschuldigten und ihrer Verteidiger am 26. Juni 2024 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
1. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.
2. Die Beschwerde des Beschuldigten W. gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. Dezember 2023 ist gegenstandslos.
Gründe:
I.
Die Beschuldigten sind am 14. Dezember 2023 aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 8. Dezember 2023 (3 BGs 263/23 bzgl. Beschuldigtem N. , 3 BGs 262 und 269/23 bzgl. Beschuldigtem W. ) festgenommen worden und befinden sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Gegenstand der Haftbefehle sind die Vorwürfe, die Beschuldigten hätten sich jeweils in E.
und anderen Orten durch zwei selbständige Handlungen zum einen ab März 2019 bis Ende April/Anfang Mai 2021 an einer kriminellen und zum anderen ab Ende April/Anfang Mai 2021 an einer terroristischen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wobei der Beschuldigte N. als Rädelsführer gehandelt und zudem die kriminelle Vereinigung gegründet habe, strafbar nach
§ 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 53 StGB. Ihnen wird zur Last gelegt, als Mitglied in die rechtsextrem ausgerichtete Kampfsportgruppe „ “ eingebunden gewesen zu sein, die zunächst Gewalttaten gegen von ihr nicht geduldete Personen verübt und später auch den Einsatz tödlicher Gewalt bei dem Kampf gegen den politischen Gegner gewollt habe. Der Beschuldigte N.
sei dabei Mitbegründer und führendes Mitglied der Gruppe gewesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 25. Januar 2024 (StB 3/24) eine Beschwerde des Beschuldigten W. gegen den ihn betreffenden Haftbefehl verworfen. Der Beschuldigte W. hat - nach einer Haftprüfungsentscheidung - erneut Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt, welcher der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nicht abgeholfen hat. Im Anschluss hieran ist dem Senat die Sache hinsichtlich beider Beschuldigter zur Prüfung vorgelegt worden, ob der Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden darf.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor (§ 121 Abs. 1 StPO).
1. Die Beschuldigten sind der ihnen mit den Haftbefehlen zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Im Sinne eines solchen Verdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7 aa) Die rechtsextrem ausgerichtete Kampfsportgruppe „
“
wurde im März 2019 in E.
unter anderem vom Beschuldigten N. gegründet. Ihr gehörten Mitglieder im unteren zweistelligen Bereich an, wobei sich regelmäßig etwa zehn Personen aktiv einbrachten. Trainingsort war das Gebäude der Landesgeschäftsstelle der in E.
(„
“). Die Organisation war auf eine längere Zugehörigkeit der einzelnen Mitglieder angelegt und stellte bestimmte Anforderungen an diese sowohl in ideologischer als auch in körperlicher Hinsicht. Es wurde ein monatlicher Mitgliedsbeitrag erhoben.
Zum Ausdruck der Verbundenheit trugen die Mitglieder einheitliche Kleidung mit der Organisationsbezeichnung, die bei unzureichender Beteiligung entzogen werden konnte. Zweck des Zusammenschlusses waren nicht allein sportliche Aktivitäten, sondern auch gewaltsame Angriffe auf Polizeibeamte, politische Gegner und sonstige nach der eigenen nationalsozialistischen Anschauung zu bekämpfende Personen. Damit war verbunden, die Angegangenen körperlich zu misshandeln und zu verletzen. Die Mitglieder sollten grundsätzlich ein Messer bei sich tragen. Der Einsatz von Gewalt sollte mit dazu beitragen, in E. „Nazikiez“ zu schaffen.
einen Entsprechend den allgemeinen Zielen kam es zu mehreren Gewalttaten gegen Personen, die der Vorstellung der Gruppierung nicht genehm waren, etwa weil sie als „Linke“, Randalierer oder im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln Stehende angesehen wurden oder es sich um Polizeibeamte handelte.
Im Frühjahr 2021 fassten die für die Ausrichtung der Gruppe maßgeblichen Mitglieder zumindest konkludent den Entschluss, die als Gegner angesehenen Personen künftig auch mit Waffen anzugreifen, die tödliche Verletzungen hervorrufen können, namentlich Macheten und Schusswaffen. Als Anlass für derartige Taten sollten Aktionen von Angehörigen des linken Spektrums genutzt werden und die Handlungen unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Notwehr über das dazu Erforderliche hinaus zu Verletzungen anderer Menschen führen. Einen tödlichen Ausgang eines solchen geplanten Vorgehens nahmen die Gruppenmitglieder wenigstens billigend in Kauf.
bb) Die Beschuldigten gehörten der Gruppe bereits seit ihrer Anfangszeit an und beteiligten sich in ihr auf vielfältige Weise.
(1) Der Beschuldigte N. brachte sich bereits bei der Gründung von „ “ ein. Im März 2019 sprühte er ein großflächiges Graffiti mit dem Emblem der Gruppe und der Bezeichnung „ “, vor dem er sodann selbst mit vier weiteren Personen posierte; das Foto wurde später veröffentlicht. Er befasste sich mit der Außendarstellung in Sozialen Medien, hielt bei regelmäßigen Gruppentreffen politische Vorträge und nahm, zumeist in Kleidung mit Symbolen der Gruppe, von Sommer 2020 bis in den Herbst 2021 an mehreren Fahrten von Mitgliedern zu Demonstrationen sowie sonstigen Aktionen teil. So fuhr er im September 2021 mit weiteren Mitgliedern der Gruppierung nach Er. , da sie einen Angriff durch dem linksextremistischen Lager zugerechnete Personen auf den gesondert verfolgten R. herbeiführen und die Gelegenheit für eine gewaltsame Gegenaktion nutzen wollten. Zu einer Auseinandersetzung kam es an dem Tag indes nicht. Im Herbst 2020 trat der Beschuldigte N. Gruppe bei dem Kampfsporttreffen „
mit Unterstützung der “ an. Nachdem anderweitig verfolgte Mitglieder der Gruppe am 6. April 2022 festgenommen und mehrere Objekte, unter anderem auch die Wohnung des Beschuldigten, durchsucht worden waren, befürwortete er weiterhin eine Bewaffnung „zum Selbstschutz“
und sammelte Geld für die Inhaftierten.
(2) Der Beschuldigte W. gehörte der Gruppe ebenfalls seit der Anfangszeit im März 2019 an. Nachdem er wegen zu geringer Beteiligung zurechtgewiesen worden war, brachte er sich im Folgenden auf unterschiedliche Weise weiter ein. Beispielsweise war er dem gesondert verfolgten R. im April 2021 bei der Herstellung der halbautomatischen Schusswaffe behilflich. Am 1. Mai 2021 nahm er an einer Patrouille wegen befürchteter Angriffe der „Linken“ teil und erklärte im Folgenden seine grundsätzliche Bereitschaft zu einer ähnlichen Aktion. Vor Juli beteiligte er sich an einem gemeinsamen Schießtraining und nahm zudem an der Schulungsveranstaltung über Waffen teil. Im September 2021 fuhr er ebenso wie der Beschuldigte N. zu der geplanten Aktion nach Er. (s.o.).
Nach der Festnahme anderer Gruppenmitglieder nahm der Beschuldigte W.
Ordner- und Sicherungsaufgaben in dem von der Gruppierung mit genutzten Gebäude wahr, für das er zudem über einen Schlüssel verfügte. Er fühlte sich weiter der Gruppe zugehörig und besaß dazu noch im Dezember 2023 ein T-Shirt mit dem Aufdruck „
“, nachdem ein ähnliches T-Shirt bei einer Durchsuchung im April 2022 sichergestellt worden war.
b) Der dringende Verdacht beruht sowohl in Bezug auf die Gruppierung „ “ als auch hinsichtlich der beiden - sich nicht zur Sache einlassenden - Beschuldigten insbesondere auf Erkenntnissen aus Telekommunikationsund Pkw-Innenraumüberwachungen, auf Chatnachrichten, Lichtbildern und sichergestellten Gegenständen. Die äußeren Umstände erlauben zudem einen Rückschluss auf die innere Tatseite.
Eine Gesamtschau mehrerer Indizien lässt nach vorläufiger Würdigung der sich aus den Akten ergebenden Beweislage im Sinne eines dringenden Verdachts den Schluss zu, dass sich die Ausrichtung der Gruppe ab etwa Ende April/Anfang Mai 2021 insofern änderte, als sie nunmehr auch den Tod anderer Menschen als Folge des beabsichtigten gewaltsamen Vorgehens erfasste, das nicht lediglich der berechtigten Abwehr fremder Angriffe dienen sollte; vielmehr sollte der Rechtfertigungsgrund der Notwehr lediglich vorgeschoben werden. Insoweit gelten die Ausführungen in dem Senatsbeschluss vom 25. Januar 2024 (StB 3/24) fort. Dass das Thüringer Oberlandesgericht in dem Verfahren gegen mehrere gesondert Verfolgte nach dem dortigen Stand der Beweisaufnahme etwa mit Beschluss vom 4. April 2024 keinen die Tatbestandsmerkmale einer terroristischen Vereinigung belegenden dringenden Tatverdacht angenommen hat, ändert daran nichts. Insbesondere verhalten sich die dortigen Beschlussgründe im Wesentlichen zu als nicht gegeben erachteten Tötungsabsichten, ohne sich im Einzelnen mit einer nach den Umständen naheliegenden Ausrichtung auf bedingt vorsätzliche Tötungen auseinanderzusetzen und etwa die Herstellung einer halbautomatischen Schusswaffe, die Vielzahl gewaltaffiner Äußerungen sowie damit einhergehender körperlicher und materieller Ertüchtigungen zusammenfassend in den Blick zu nehmen. Insofern ist es nach vorläufiger Würdigung im Rahmen der gebotenen Gesamtschau nicht entscheidend, dass von Ermittlungsbehörden in Bezug auf einzelne Beweismittel gezogene Schlussfolgerungen nicht in jeder Hinsicht überzeugen und dazu eine abweichende Wertung in Betracht kommt.
c) Danach haben sich die Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung zunächst an einer kriminellen und sodann an einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Für die Frage der Haftfortdauer ist die konkurrenzrechtliche Bewertung der mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen vor und nach der wesentlichen Änderung der Zweckrichtung der Vereinigung (vgl. für die Annahme einer Zäsur BGH, Beschluss vom 15. Februar 2007 - StB 19/06, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 5 Rn. 8; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 169) ebenso wenig entscheidend wie die Stellung des Beschuldigten N. als Rädelsführer (§ 129 Abs. 5 Satz 2, § 129a Abs. 4 StGB) sowie seine Beteiligung an der Gründung (§ 129 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB). Die in Aussicht genommenen Taten waren wegen der geplanten Überschreitung des Notwehrrechts nicht gerechtfertigt.
2. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass der Haftbefehle ergeben sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 120 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.
3. Es besteht - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) - bei beiden Beschuldigten jedenfalls der Haftgrund der Schwerkriminalität. Sie sind einer der in § 112 Abs. 3 StPO genannten Taten dringend verdächtig, bei der es genügt, dass die Flucht- oder Verdunkelungsgefahr nicht auszuschließen ist (s. BVerfG, Beschluss vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20,
EuGRZ 2020, 365 Rn. 74 mwN; BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2019
- AK 57/18, juris Rn. 31; vom 22. September 2016 - AK 47/16, ZJJ 2016, 410,
411). In diesem Sinne lässt sich eine Fluchtgefahr unabhängig davon nicht verneinen, dass der Beschuldigte N.
eine Lebensgefährtin hat und an der Fachhochschule studiert und sich der Beschuldigte W. in einem festen Arbeitsverhältnis befindet. Die sozialen Bindungen der Beschuldigten sind mit Blick auf die Straferwartung und die Einbindung in die rechtsextremistische Szene nicht von solchem Gewicht, dass sie den bestehenden Fluchtanreizen genügend begegnen. Soweit die Beschuldigten seit den Durchsuchungsmaßnahmen am
6. April 2022 von dem gegen sie gerichteten Ermittlungsverfahren sowie seit der
- gesondert Verfolgte betreffenden - Anklageschrift des Generalbundesanwalts von dessen Einordnung der Gruppe auch als terroristische Vereinigung Kenntnis haben und gleichwohl nicht untergetaucht sind, lässt dies angesichts der sich konkretisierenden Tatvorwürfe und der weiteren Umstände nicht die Gefahr entfallen, dass ohne den Vollzug der Untersuchungshaft die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Taten gefährdet sein könnten.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann vor diesem Hintergrund nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden (§ 116 StPO), die bei dem Haftgrund der Schwerkriminalität ebenfalls zu erwägen sind (s. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2022 - StB 28/22, NStZ-RR 2022, 351, 353 mwN).
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Im Zuge der Festnahme der Beschuldigten ist bei Durchsuchungen eine Vielzahl von Asservaten, insbesondere Datenträger und Waffen, sichergestellt worden. Daraus hat sich ein umfangreicher Auswertungsbedarf ergeben, beispielsweise angesichts in einem Mobiltelefon gespeicherter 115.000 Fotos, über 4.000 Audioaufzeichnungen, rund 1.800 Videos und 84.500 Chatnachrichten. Im Übrigen sind zahlreiche Zeugen vernommen worden.
5. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und den zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
III.
Die Haftbeschwerde des Beschuldigten W. ist gegenstandslos. Ist eine solche eingelegt und steht gleichzeitig das Haftprüfungsverfahren der §§ 121, 122 StPO an, so kommt diesem grundsätzlich der Vorrang zu; denn es führt zu einer umfassenden Überprüfung der Frage der Haftfortdauer. Durch die Entscheidung im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO erledigt sich eine Haftbeschwerde deshalb grundsätzlich von selbst. Ein Ausnahmefall, in dem anderes zu gelten hätte, liegt hier nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2018 - AK 4/18 u.a., juris Rn. 10 f.; vom 14. Juni 2012 - AK 18/12 u.a., NStZ-RR 2012, 285 f., jeweils mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 122 Rn. 18).
Schäfer Paul Anstötz