Paragraphen in X ZR 83/23
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1 | 3 | ZPO |
1 | 139 | ZPO |
1 | 544 | ZPO |
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BUNDESGERICHTSHOF X ZR 83/23 BESCHLUSS vom 2. Juli 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:020724BXZR83.23.0 Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juli 2024 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Bacher, die Richter Hoffmann und Dr. Deichfuß und die Richterinnen Dr. Kober-Dehm und Dr. Marx beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 22. Juni 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung hinsichtlich der zweitinstanzlichen Klageanträge Nr. 2 bis 6 (Seite 4 des angefochtenen Urteils) zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Revisionsinstanz wird auf 25.835,08 Euro festgesetzt.
Gründe:
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen eines bei einer Pauschalreise erlittenen Unfalls geltend.
Die Ehefrau des Klägers buchte bei der Beklagten für sich und den Kläger eine Pauschalreise nach Djerba (Tunesien), die von 20. September bis 4. Oktober 2019 stattfand.
Der Kläger hat behauptet, er sei am 3. Oktober 2019 am Pool des Hotels gestürzt, weil das Gitter einer Überlaufrinne gebrochen sei. Bei dem Unfall habe er sich einen Meniskusabriss und einen Kreuzbandriss am rechten Knie zugezogen und den Fuß verstaucht. In der weiteren Folge habe er einen Ermüdungsbruch im Fuß erlitten.
Das Landgericht hat die auf Minderung des Reisepreises, Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, Zahlung eines Schmerzensgeldes, Ersatz materieller Schäden, Feststellung der Ersatzpflicht für alle weiteren Schäden und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der er seine erstinstanzlichen Ansprüche mit Ausnahme des Anspruchs auf Minderung weiterverfolgt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 9 ZPO.
Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Gericht eine entscheidungserhebliche Frage nur dann abweichend von einem zuvor erteilten rechtlichen Hinweis beurteilen, wenn es die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BGH, Beschluss vom 29. April 2014 - VI ZR 530/12, NJW 2014, 2796 Rn. 5; Beschluss vom 28. November 2019 - IX ZR 8/19, NZI 2020, 65 Rn. 5). Ein diesbezüglicher Hinweis kann allerdings entbehrlich sein, wenn sich die geänderte Einschätzung hinreichend deutlich aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung ergibt (BGH, Beschluss vom 16. Juni 2011 - X ZB 3/10, GRUR 2011, 851 Rn. 14).
2. Im Streitfall durfte das Berufungsgericht die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte danach nicht verneinen, ohne dem Kläger zuvor einen Hinweis zu erteilen und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
a) Das Berufungsgericht hat die Frage, ob eine Verkehrspflichtverletzung der Beklagten bewiesen ist, im angefochtenen Urteil anders beurteilt als in dem zuvor ergangenen Hinweisbeschluss vom 26. Januar 2023.
Im Hinweisbeschluss hat das Berufungsgericht ausgeführt, angesichts des Lichtbilds in Anlage K2 dürften relevante Beschädigungen des Überlaufgitters erwiesen sein. Deshalb habe eine bloße Sichtprüfung nicht ausgereicht. Vor diesem Hintergrund bedürfe es der Aufklärung, inwiefern es auf der Grundlage des dadurch begründeten Reisemangels zu einem Sturz des Klägers und den geltend gemachten Verletzungen gekommen sei. Hierzu sei der Kläger persönlich anzuhören.
Im angefochtenen Urteil ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger habe nicht bewiesen, dass sich das Überlaufgitter bereits in den Tagen vor dem Unfall an mehreren Stellen in einem erkennbar nicht mehr ordnungsgemäßen Zustand befunden habe. Die als Anlage K2 vorgelegten Lichtbilder seien nicht geeignet, eine solche Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zu belegen.
Damit hat das Berufungsgericht die als Anlage K2 vorgelegten Lichtbilder anders gewürdigt als im Hinweisbeschluss.
b) Diese Abweichung war aufgrund des Verlaufs der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend deutlich zu erkennen.
Dem insoweit gemäß § 139 Abs. 4 Satz 2 ZPO maßgeblichen Sitzungsprotokoll ist zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den Kläger nicht nur zu dem vorgetragenen Unfallverlauf angehört hat, sondern auch zum Inhalt der Anlage K2, zum darin dokumentierten Zustand der Überlaufrinne und zu der Frage, wann und durch wen die Fotografien gefertigt worden sind. Nach einer Beratungspause hat das Berufungsgericht die Sach- und Rechtslage mit den Parteien erörtert, "insbesondere im Hinblick auf die tatsächliche Feststellung auf der Grundlage der Anhörung des Klägers".
Aus diesem Verlauf der mündlichen Verhandlung geht nicht hinreichend deutlich hervor, dass das Berufungsgericht die Fotografien in Anlage K2 anders würdigen würde, als es dies im Hinweisbeschluss dargelegt hat. Aus dem Umstand, dass sich das Berufungsgericht nach Anhörung des Klägers zur Beratung zurückgezogen und anschließend die tatsächlichen Feststellungen als erörterungsbedürftig angesehen hat, geht nicht hervor, dass Erörterungsbedarf nicht in Bezug auf die Schilderung des Unfallverlaufs besteht, sondern im Hinblick auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
c) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung war ein erneuter Hinweis nicht aus anderen Gründen entbehrlich.
aa) Aus dem Umstand, dass das Berufungsgericht die im Hinweis vom 26. Januar 2023 geäußerte Auffassung als vorläufig bezeichnet und beiden Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, musste der Kläger zwar die - ohnehin selbstverständliche - Schlussfolgerung ziehen, dass das Berufungsgericht sich noch nicht endgültig festgelegt hatte. Auch in solchen Situationen darf eine Partei aber grundsätzlich darauf vertrauen, dass das Gericht nicht ohne erneuten Hinweis von seiner vorläufigen Auffassung abweichen wird.
bb) Aus der Stellungnahme der Beklagten vom 1. März 2023 musste der Kläger nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass dem erteilten Hinweis die Grundlage entzogen ist.
Angesichts des von der Beklagten in dieser Stellungnahme erhobenen Einwands, die Fotografien in Anlage K2 seien erst nach dem Unfall aufgenommen worden, musste der Kläger allerdings damit rechnen, dass das Berufungsgericht die Fotografien aus diesem Grund anders bewerten könnte. Das Berufungsgericht hat sein Urteil aber nicht auf diesen Umstand gestützt. Ausweislich des angefochtenen Urteils ist es nach Anhörung des Klägers vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass das oben rechts auf der Anlage K2 wiedergegebene Lichtbild augenblicklich nach dem Unfallgeschehen gefertigt worden ist.
Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung der Berufung auf den Umstand gestützt, dass die Fotografien in K2 keinen Zustand belegten, der über eine Sichtprüfung hinausgehende Sicherheitsüberprüfungen erforderlich gemacht hätte. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht in diesem Punkt von der im Hinweisbeschluss geäußerten Auffassung abweichen würde und deshalb ergänzender Vortrag zum Zustand der Ablaufrinne und diesbezügliche Beweisantritte erforderlich sein könnten, ergaben sich aus der Stellungnahme der Beklagten nicht.
cc) Ein Hinweis war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger gehalten war, bereits in erster Instanz und in der Berufungsbegründung zum Zustand der Anlage vorzutragen und Beweismittel anzubieten.
Nach der im Hinweisbeschluss geäußerten Einschätzung des Berufungsgerichts durfte der Kläger davon ausgehen, dass es zu diesem Punkt keines weiteren Vortrags und keiner weiteren Beweisangebote bedurfte. Bei dieser Ausgangslage hätte das Berufungsgericht dem Kläger Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen geben müssen, wenn es an dieser Einschätzung nicht festhalten wollte.
III. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO.
Bacher Hoffmann Deichfuß Kober-Dehm Marx Vorinstanzen: LG Hannover, Entscheidung vom 27.06.2022 - 1 O 334/20 OLG Celle, Entscheidung vom 22.06.2023 - 11 U 68/22 -
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