6 StR 348/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 348/23 URTEIL vom 7. Februar 2024 in der Strafsache gegen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ECLI:DE:BGH:2024:070224U6STR348.23.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Feilcke, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Richter am Bundesgerichtshof Fritsche, Richter am Bundesgerichtshof Arnoldi als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt Dr. M. , Rechtsanwältin S.
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 5. April 2023 dahin ergänzt, dass die in dieser Sache in Italien erlittene Freiheitsentziehung im Maßstab 1:1 auf die Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten wird das Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
- Von Rechts wegen - Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet. Dagegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten, die jeweils wirksam beschränkt sind, diejenige der Staatsanwaltschaft auf den Maßregelausspruch und diejenige des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, die Revision des Angeklagten in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte der Angeklagte aufgrund einer Alkohol- und Kokainabhängigkeit eine schwere Persönlichkeitsdepravation, die sich schon zur Tatzeit im Jahr 2017 darin äußerte, dass er alles in seinem Leben, einschließlich seiner Gesundheit, dem Konsum und der Finanzierung von Kokain unterordnete. Er kam Ende 2016 nach Deutschland und schloss sich – auch um Kokain zu erhalten – einer Bande an, die in großem Stil mit Betäubungsmitteln handelte, insbesondere mit Marihuana, Kokain und Heroin. Er fungierte zusammen mit dem gesondert verfolgten C. als „Bunkerhalter“, wobei sich beide gegenseitig zu kontrollieren hatten. Seine Aufgabe bestand vornehmlich darin, Drogen in Empfang zu nehmen, zu verstauen und gegebenenfalls zu wiegen. Da nur der Angeklagte über einen Schlüssel verfügte, musste er C. zudem Zugang zum „Bunker“ verschaffen, wenn dieser Betäubungsmittel brachte oder abholte.
Nach der Inhaftierung anderer Bandenmitglieder floh der Angeklagte Ende 2017 ins Ausland. Seit 2019 hielt er sich in Italien auf, wo er durch rechtskräftiges Urteil vom 14. Oktober 2022 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt wurde, weil er sich dort im Oktober 2021 „professionell“ am Handel mit Kokain beteiligt hatte. In Italien befand er sich zunächst vom 27. Oktober 2021 bis zum 5. April 2022 in Untersuchungshaft; danach stand er unter Hausarrest. Am 27. Oktober 2022 wurde er in Auslieferungshaft genommen und am 23. November 2022 nach Deutschland überstellt. Eine Rücküberstellung nach Italien zur Vollstreckung der restlichen dort verhängten Freiheitsstrafe beantragten die italienischen Behörden bislang nicht. Die hiesige Ausländerbehörde strebt nach Eintritt der Rechtskraft eine Aberkennung der Freizügigkeit des Angeklagten nach den §§ 6, 7 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigkeitsG/EU) an.
2. Beide Revisionen führen zur Aufhebung des Maßregelausspruchs, weil die angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die nach § 64 Satz 2 StGB erforderliche Erfolgsaussicht besteht, und zwar weder nach der bis zum 30. September 2023 noch nach der seitdem geltenden Fassung der Vorschrift (BGBl. 2023 I, Nr. 203). Das Landgericht hat nicht berücksichtigt, dass die dem Angeklagten drohende Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe aus dem in Italien gegen ihn ergangenen Urteil und die seitens der Ausländerbehörde angestrebte Aberkennung seiner Freizügigkeit den Behandlungserfolg erheblich in Frage stellen.
Die Strafkammer hat insoweit unter Verweis auf Art. 3 Abs. 1 und 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren (ABl. L 220, S. 32) gemeint, es sei aus Rechtsgründen nicht damit zu rechnen, dass es nach Abschluss der Therapie zu einer Vollstreckung der in Italien verhängten Freiheitsstrafe kommen werde, weil die deutschen Vollstreckungsbehörden dafür Sorge zu tragen hätten, dass die italienische Sanktion noch vor Beginn der Unterbringung des Angeklagten im Maßregelvollzug zu vollziehen sei, jedenfalls aber noch vor Ablauf eines wesentlichen Teils davon. Diese Annahme entbehrt einer rechtlichen Grundlage; diese ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 3 Abs. 1 und 2 des Rahmenbeschlusses 2008/675/JI. Sowohl den italienischen als auch den deutschen Strafvollstreckungsbehörden steht es vielmehr frei, über ihr weiteres Vorgehen zu entscheiden.
Der Status des Angeklagten ist dementsprechend unsicher. Zum einen haben die italienischen Behörden seine Auslieferung bislang nicht beantragt. Es ist zudem nicht absehbar, ob und gegebenenfalls wann ein solches Ersuchen gestellt werden wird. Zum anderen ist die Staatsanwaltschaft unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, den Angeklagten zunächst zur Vollstreckung der restlichen Freiheitsstrafe nach Italien ausliefern zu lassen. Vielmehr besteht allein die ungewisse, vom Landgericht nicht zu beeinflussende Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft noch vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bei den italienischen Behörden um die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ersucht. Gleichermaßen unsicher ist, ob es unter Umständen zu einer nach § 85 Abs. 1 Satz 1 IRG im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegenden Überstellung des Angeklagten nach Italien und dort zu seiner Unterbringung in einer Einrichtung kommt, die einer Entziehungsanstalt im Sinne des § 64 StGB entspricht (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 – 3 StR 493/21, NStZ-RR 2022, 106).
Die daraus resultierenden Unwägbarkeiten sind geeignet, den Erfolg einer therapeutischen Behandlung des Angeklagten in Frage zu stellen, weil sie die Auseinandersetzung mit seiner eigentlichen Suchtproblematik überlagern könnten. Zudem stünde der unsichere Status des Angeklagten der für einen Therapieerfolg notwendigen Erprobung durch Gewährung von Lockerungen und Schaffung eines geeigneten sozialen Empfangsraums durch Entlassung in stabilen Wohn- und Arbeitsverhältnissen in vergleichbarer Weise entgegen wie im Falle eines vollziehbar ausreisepflichtigen Betroffenen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 71; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 6 StR 531/23).
Insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten führt zu einer Ergänzung der Urteilsformel im Hinblick auf den in dieser Sache in Italien erlittenen Freiheitsentzug. Das Landgericht hat zwar in den Urteilsgründen zu Recht ausgeführt, dass insoweit gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt. Die Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab muss aber im Urteilstenor zum Ausdruck gebracht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – 2 StR 441/20). Der Senat holt dies in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO nach.
Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet. Straf- und Einziehungsausspruch halten rechtlicher Überprüfung stand. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
a) Es stößt auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht einerseits die bisherige Straflosigkeit des Angeklagten bei Begehung der nunmehr abgeurteilten Taten zutreffend strafmildernd, andererseits die Verurteilung des Angeklagten in Italien am 14. Oktober 2022 wegen des später dort begangenen Betäubungsmittelhandels strafschärfend berücksichtigt hat, wenn auch in eingeschränktem Maße, weil es sich um „eine suchtbedingte Tat eines untherapierten Abhängigen“ handele.
Das Gericht hat bei der Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB die für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Dabei kommt insbesondere das Verhalten des Angeklagten nach der Tat in Betracht. Begeht er nach der abgeurteilten Tat eine weitere Straftat, so kann dieses Verhalten auch für die zuvor begangene Tat zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die neue Straftat nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Angeklagten auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit oder die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lässt. Unter diesen Voraussetzungen kann eine weitere Strafbarkeit Hinweise auf den Unrechtsgehalt der früher begangenen Tat und die innere Einstellung des Täters zu ihr geben (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1985 – 3 StR 413/85; Beschlüsse vom 5. Februar 1998 – 4 StR 16/98, NStZ 1998, 404; vom 26. September 2001 – 2 StR 383/01, wistra 2002, 21; vom 11. November 2015 – 2 StR 272/15, NStZ-RR 2016, 7; vom 23. August 2023 – 2 StR 275/23; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 687).
Der danach erforderliche innere Zusammenhang zwischen den nunmehr abgeurteilten Taten und der später in Italien begangenen Straftat besteht. Der Angeklagte beteiligte sich jeweils an einem organisierten Handel mit Kokain. Darin durfte das Landgericht – in eingeschränktem Maße – einen Hinweis auf die Rechtsfeindlichkeit des Angeklagten und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche sehen.
b) Als nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft erweisen sich auch die strafschärfenden Erwägungen des Landgerichts, dass der Angeklagte nicht nur untergeordnet oder kurzfristig Mitglied der Bande, sondern zehn Monate lang „fester Bandenbestandteil“ gewesen und seine Rolle als Verwalter des Drogendepots „essentiell“ für das reibungslose Funktionieren des alltäglichen Betäubungsmittelhandels gewesen sei. Mit diesen Ausführungen hat das Landgericht nicht unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB lediglich diejenigen Umstände zu Lasten des Angeklagten gewertet, die dessen (Mit-)Täterschaft begründeten, sondern die darüber hinausgehende besondere Bedeutung des Angeklagten innerhalb der Bande. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
Sander Feilcke Tiemann Fritsche Arnoldi Vorinstanz: Landgericht Regensburg, 05.04.2023 - 7 KLs 106 Js 12717/18