6 StR 146/23
BUNDESGERICHTSHOF StR 146/23 BESCHLUSS vom 15. Mai 2023 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2023:150523B6STR146.23.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Mai 2023 beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 20. Dezember 2022 mit den Feststellungen aufgehoben, wobei diejenigen zum äußeren Tatgeschehen Bestand haben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte von den Vorwürfen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung, der Bedrohung, der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Sachbeschädigung und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit Körperverletzung freigesprochen, jedoch ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Zudem hat es Tatmittel eingezogen. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat im Wesentlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Anordnung der Maßregel hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den zu der Anlasstat (Fall II.A.1 der Urteilsgründe) getroffenen Feststellungen ergriff die Angeklagte den Zeugen L. ohne äußeren Anlass und schlug ihm gegen die Brust. Es entstand ein Handgemenge, in das die Ehefrau des Zeugen sowie der Zeuge M.
zur Unterstützung des Zeugen L.
eingriffen. Die Angeklagte versetzte der Ehefrau einen wuchtigen und schmerzhaften Tritt in den Unterleib und schlug dem Zeugen M. mit einem Nunchaku gegen das linke Auge.
Das sachverständig beratene Landgericht hat zur Frage der Schuldfähigkeit der Angeklagten bei dieser Tat und den Voraussetzungen des § 63 StGB ausgeführt, dass sie entweder an einer schizophrenen oder einer wahnhaften Störung oder einer Persönlichkeitsstörung litt. Bei erhaltener Unrechtseinsicht sei ihre Fähigkeit, sich dem Tatanreiz zu widersetzen, krankheitsbedingt erheblich vermindert und nicht ausschließbar vollständig aufgehoben gewesen. Der psychische Defekt, gleich welcher, sei für die Tatbegehung mitbestimmend, wenn nicht gar handlungsleitend gewesen. Zwischen der erhöhten Reizbarkeit und der Tatbegehung habe auch der erforderliche symptomatische Zusammenhang bestanden.
b) Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Wesentlichen ausgeführt:
„Auf welcher Grundlage die Sachverständige zu den alternativ gestellten Diagnosen gelangt ist, hat das Landgericht nicht nachvollziehbar dargelegt. Unklar bleibt, wie sich die drei Störungsbilder jeweils konkret äußern und welche Symptome bei der Angeklagten bei jedem der drei angenommenen Störungsbilder zu erwarten oder nicht zu erwarten wären. (…) Auch versteht es sich gerade bei einer wahnhaften Störung nicht von selbst, dass es sich hierbei um einen fortdauernden Defekt handelt. (…) Wenige Monate nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat war bei der Angeklagten eine ‚wahnhafte Störung, differenzialdiagnostisch eine gemischte Persönlichkeitsstörung‘ diagnostiziert worden (UA S. 39).
Die Sachverständige konnte bei der Angeklagten hingegen selbst keine Symptome einer psychiatrischen Erkrankung feststellen (UA S. 39). Sie stellt vielmehr fest, dass für die Diagnose einer schizophrenen Störung maßgebliche Symptome wie beispielsweise die Ich-Störung fehlen würden (UA S. 40). (…) Soweit das Landgericht ausführt, die Sachverständige habe bei der Diagnose einer schizophrenen oder wahnhaften Störung bedacht, dass alles, was auf einen Wahn hindeuten könne, ‚immer noch irgendwie nachvollziehbar‘ sei (UA S. 40), erschließt sich nicht, welche konkreten Faktoren aus Sicht der Sachverständigen auf einen Wahn schließen ließen. (…) Das Verhalten der Angeklagten im Rahmen der Exploration beurteilte die Sachverständige als ‚insgesamt adäquat‘ (UA S. 37). Dass dies ohne Weiteres mit den drei alternativ gestellten Diagnosen im Einklang steht, drängt sich nicht auf.
Ferner ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, welche Persönlichkeitsstörung bei der Angeklagten möglicherweise vorliegt und worauf diese Annahme fußt. Der Gesamtkontext der Urteilsgründe deutet zwar darauf hin, dass das Landgericht in Übereinstimmung mit einzelnen Vorbefunden von einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ oder einer gemischten Persönlichkeitsstörung ausgegangen ist (UA S. 38/39). Die in Bezug auf die Angeklagte festgestellten Merkmale und Auswirkungen einer solchen Persönlichkeitsstörung sowie deren Schweregrad werden in den Urteilsgründen jedoch nicht konkret dargelegt und belegt. Die Diagnose ‚Persönlichkeitsstörung‘ erfüllt indessen nicht ohne Weiteres die Voraussetzungen einer schweren seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB. Ob eine solche vorliegt, ist vielmehr danach zu beurteilen, ob es im Alltag außerhalb des Delikts zu gravierenden Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist und sich die defekten Muster im Denken, Fühlen und Verhalten als zeitstabil erwiesen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 364/22 – Rdnr. 10 m. w. N.). Außerdem muss feststehen, dass der Täter bei der Tatbegehung aus einem auf der Störung beruhenden starken Zwang gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 1997 – 2 StR 244/97).
In welcher Weise sich das jeweilige in Betracht kommende Störungsbild konkret auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zu den Tatzeitpunkten ausgewirkt hat, wird in den Urteilsgründen gleichfalls nicht ausreichend dargetan. Wie die Angeklagte die Situation vor der Ausführung der Taten subjektiv erlebte, ist ihren rudimentären Angaben zu den Tatvorwürfen nur sehr begrenzt zu entnehmen (UA S. 15/16). (…) Die Diagnose einer Schizophrenie führt für sich allein nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. Es bedarf hierfür vielmehr eines akuten Schubs und eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und der Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer (…) nicht festgestellt. Bei wahnhaften Störungen kann es vielmehr zu akuten psychotischen Phasen kommen, die sich erheblich auf die Schuldfähigkeit – insbesondere das Einsichtsvermögen – auswirken. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Sachverhalt keinen Bezug zum Wahnthema hat (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2021 – 2 StR 148/21, NStZ-RR 2022, 102, 104). Auch für die in Betracht kommende Persönlichkeitsstörung ist nicht dargelegt, wie diese sich genau in den jeweiligen Tatsituationen auswirkte.
Die Gefährlichkeitsprognose begegnet insoweit rechtlichen Bedenken, als das Landgericht nicht festgestellt hat, dass die bereits rechtskräftig abgeurteilten Straftaten gerade auf zumindest einem der drei vorliegend in Betracht kommenden psychischen Defekte der Angeklagten beruhten (UA S. 45). Frühere Taten können jedoch nur dann für die Begründung einer negativen Gefährlichkeitsprognose herangezogen werden, wenn sie Symptomcharakter haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2020 – 1 StR 176/20 – Rdnr. 17). Dies ist nicht dargetan.“
Dem schließt sich der Senat an. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die fehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit führen zur Aufhebung auch des Freispruchs (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat für eine etwaige erneute Einziehungsentscheidung darauf hin, dass die Einziehung von Tatmitteln bei schuldlos Handelnden nur nach § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB angeordnet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2023 – 3 StR 501/22 mwN).
Sander Feilcke Wenske Fritsche von Schmettau Vorinstanz: Landgericht Saarbrücken, 20.12.2022 - 8 KLs 20/22