6 StR 92/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 92/24 BESCHLUSS vom 6. August 2024 in der Strafsache gegen wegen Bestimmen eines Minderjährigen zum Handeltreiben mit Cannabis u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:060824B6STR92.24.0 Der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. August 2024 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. November 2023 a) dahin geändert, dass der Angeklagte der Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige in zwei Fällen, des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bestimmen eines Minderjährigen zum Handeltreiben mit Cannabis, und des Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen schuldig ist,
b) aufgehoben in den Aussprüchen über die Strafen in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe sowie über die hieraus gebildete (erste) Gesamtstrafe; die zugehörigen Feststellungen werden jedoch aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe: 1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren“ in zwei Fällen, wegen „Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge“ und wegen „Bestimmung einer Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahren zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln“ unter Einbeziehung früher verhängter Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen übergab der Angeklagte der zum jeweiligen Tatzeitpunkt 17 Jahre alten Zeugin P.
einmal 1 Gramm Kokain und einmal eine Ecstasy-Tablette zum unmittelbar anschließenden Konsum (Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe). Ferner verwahrte er 1 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 5 bis 10 %, um es gewinnbringend weiter zu veräußern (Fall 3 der Urteilsgründe). Außerdem veranlasste er die Zeugin P. , für ihn Cannabismengen zwischen 1 und 20 Gramm an seine Abnehmer und gleichaltrige Personen aus ihrem Bekanntenkreis zu verkaufen und ihm den Erlös zu übergeben; zu diesem Zweck übergab er ihr 20 Gramm Cannabis, von denen P.
in mindestens zwei Fällen insgesamt 12 Gramm mit Gewinn an andere veräußerte
(Fall 4 der Urteilsgründe). Schließlich war der Angeklagte einmal im Besitz von
0,74 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 87,3 % (Fall 5 der Urteilsgründe) und einmal im Besitz eines Kokain-Marihuana-Gemisches von
1,2 Gramm (Fall 6 der Urteilsgründe).
2. Der Schuldspruch bedarf in den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe einer Änderung.
a) In den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nicht der Abgabe, sondern der Verbrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig gemacht. Der Generalbundesanwalt hat dazu in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr.
BtMG ist jede Gewahrsamsübertragung an eine andere Person zur freien Verfügung. An einer solchen fehlt es, wenn der Suchtstoff zum sofortigen Gebrauch an Ort und Stelle hingegeben wird; in dieser Konstellation ist vielmehr die Tatbestandsvariante des Überlassens zum unmittelbaren Verbrauch einschlägig (vgl. Senat, Beschlüsse vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 403/22, Rn. 3; und vom 24. März 2022 – 6 StR 14/22, Rn. 2 f.; BGH, Beschluss vom 23. März 2021 –
StR 19/21, Rn. 8; Patzak, NStZ 2023, 17, 20). So liegt der Fall hier.
Der Angeklagte übergab der zum damaligen Zeitpunkt 17-jährigen Zeugin P.
eine Line Kokain (…) beziehungsweise eine Ecstasytablette (…), welche die Zeugin jeweils unmittelbar konsumierte.“
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
b) In den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe ist der Schuldspruch zu ändern, weil am 1. April 2024 das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG, BGBl. I Nr. 109) in Kraft getreten ist, das den Umgang mit Konsumcannabis nunmehr abschließend regelt (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130). Es ist gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen, weil das KCanG hier das mildere Gesetz darstellt.
Danach hat sich der Angeklagte im Fall 3 der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Cannabis schuldig gemacht (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG). Das Vorliegen des Regelbeispiels im Sinne des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG ist nicht in die Urteilsformel aufzunehmen, weil es sich um eine Strafzumessungsregel handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2024 – 6 StR 116/24, Rn. 3 mwN).
Im Fall 4 der Urteilsgründe hat der Angeklagte den Tatbestand des Bestimmens eines Minderjährigen zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 4 Nr. 2 KCanG) und tateinheitlich dazu denjenigen des Handeltreibens mit Cannabis im Sinne von § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG verwirklicht. Insoweit ist dem Landgericht, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, ein Verkündungsversehen unterlaufen, indem es den Angeklagten aufgrund des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts lediglich der „Bestimmung einer Person unter 18 Jahren als Person über 21 Jahren zum unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln“ schuldig gesprochen hat, nicht jedoch auch des tateinheitlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.
Auch insoweit ändert der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht nicht entgegen.
c) Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe lässt die insoweit verhängten Strafen unberührt. Demgegenüber entzieht die Schuldspruchänderung in den Fällen 3 und 4 den betreffenden Strafen die Grundlage. Dies zieht die Aufhebung der daraus sowie aus den Strafen in den Fällen 1 und 2 und den einbezogenen Strafen gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten nach sich.
Insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und durch ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
3. Der Schuldspruch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG) im Fall 6 der Urteilsgründe hat Bestand. Angesichts der Gesamtmenge des Kokain-Marihuana-Gemisches von 1,2 Gramm handelt es sich hinsichtlich des darin enthaltenen Marihuanas um einen erlaubten Besitz im Sinne von § 3 Abs. 1 KCanG, so dass es einer Schuldspruchänderung nicht bedarf. Der Strafausspruch bleibt insoweit unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht unter Berücksichtigung des legalen Besitzes von Marihuana auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.
Tiemann Fritsche von Schmettau Werner Arnoldi Vorinstanz: Landgericht Braunschweig, 23.11.2023 - 9 KLs 801 Js 57155/20 (97/22)