VIa ZR 1647/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1647/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 11. Juni 2024 Heger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:110624UVIAZR1647.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Unter Verwerfung des weiterreichenden Rechtsmittels als unzulässig wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 9. November 2022 auf die Revision des Klägers im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung auch wegen der geltend gemachten deliktischen Hauptforderungen und der entsprechenden Nebenforderungen zurückgewiesen worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb am 22. Mai 2013 von der Beklagten ein von ihr hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz E 250 T CDI BlueEFFICIENCY, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle geschieht unter Verwendung eines Thermofensters sowie einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
Das Landgericht hat die hauptsächlich auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, hilfsweise auf Feststellung der Schadensersatzhaftung der Beklagten, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und der Haftung der Beklagten aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung sowie Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge im Wesentlichen weiterverfolgt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Generalanwalts im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union C-100/21 erscheine es möglich, dass der Bundesgerichtshof seine Rechtsauffassung zur drittschützenden Wirkung von § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ändere. Mit dem Rechtsmittel verfolgt der Kläger seine Anträge aus dem zweiten Rechtszug weiter und rügt dabei nicht nur die fehlerhafte Anwendung deliktsrechtlicher Vorschriften, sondern stützt die Revision auch auf kaufrechtliche Ansprüche.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers ist nur zulässig, soweit sie deliktische Ansprüche des Klägers zum Gegenstand hat. Insoweit hat das Rechtsmittel Erfolg.
A.
Aufgrund der beschränkten Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt das angefochtene Urteil der revisionsrechtlichen Nachprüfung nur insoweit, als die Berufung des Klägers wegen einer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist. Die vorliegende Zulassung der Revision ist mit Rücksicht auf die seitens des Berufungsgerichts hierfür gegebene Begründung so auszulegen, dass sie nur deliktische Haupt- und Nebenansprüche umfasst, nicht aber das Rechtsmittel für einen anderen Streitgegenstand eröffnet, also insbesondere nicht für kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 11. September 2023 - VIa ZR 1470/22, juris Rn. 6).
In Bezug auf deliktische Ansprüche unterliegt die seitens des Berufungsgericht ausgesprochene Zulassung dagegen keiner Beschränkung (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10 f. mwN).
B.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit das für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ansprüche aus unerlaubter Handlung stünden dem Kläger nicht zu. Hinsichtlich des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV stehe dem bereits entgegen, dass in den zuletzt genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen. Daran habe sich auch mit Rücksicht auf die Stellungnahme des Generalanwalts im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union C-100/21 nichts geändert. § 826 BGB betreffend habe der Kläger schon ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht schlüssig dargetan. Hinsichtlich der implementierten Einrichtungen des Thermofensters und der KSR könne offenbleiben, ob es sich dabei um unzulässige Abschalteinrichtungen handele. Denn beide Einrichtungen arbeiteten sowohl im Prüfstandsbetrieb als auch im normalen Fahrbetrieb grundsätzlich gleichermaßen. Soweit der Kläger demgegenüber einen Prüfstandsbezug der KSR behauptet habe, habe er diesen nicht hinreichend dargetan.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die insofern erhobenen Rügen greifen nicht durch.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist deshalb im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Krüger Götz Rensen Katzenstein Vorinstanzen: LG Koblenz, Entscheidung vom 20.12.2021 - 1 O 211/20 OLG Koblenz, Entscheidung vom 09.11.2022 - 9 U 102/22 -