XIII ZB 66/21
BUNDESGERICHTSHOF XIII ZB 66/21 BESCHLUSS vom 10. Oktober 2023 in der Freiheitsentziehungssache ECLI:DE:BGH:2023:101023BXIIIZB66.21.0 Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2023 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt, die Richterin Dr. Picker und den Richter Dr. Kochendörfer beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Person des Vertrauens des Betroffenen gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 16. Dezember 2021 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I. Der Betroffene, ein ägyptischer Staatsangehöriger, reiste im Oktober 2013 nach Deutschland ein. Seine Asylanträge lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab und drohte ihm die Abschiebung nach Ägypten an. Die dagegen geführten Klageverfahren blieben ohne Erfolg. Am 11. Oktober 2021 ordnete das Amtsgericht gegen den Betroffenen Ausreisegewahrsam bis zum 14. Oktober 2021 an. Eine für diesen Tag geplante Rückführung des Betroffenen mit einem unbegleiteten Linienflug scheiterte an dessen Weigerung, das Flugzeug zu betreten. Nach Anordnung von Abschiebungshaft gegen den Betroffenen durch das Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 22. Oktober 2021, sodann in der Hauptsache bis zum 11. November 2021, wurde am 10. November 2021 ein weiterer Rückführungsversuch durch einen Linienflug mit Sicherheitsbegleitung durch drei Bundespolizeibeamte unternommen, der ebenfalls am Widerstand des Betroffenen scheiterte. Am selben Tag ordnete das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 10. Dezember 2021 an. Nachdem eine Rückführung des Betroffenen durch einen Linienflug mit vier begleitenden Beamten für den 21. Dezember 2021 organisiert und die Ausstellung eines neuen Passersatzpapiers für den Betroffenen zum Flugtermin zugesichert worden war, beantragte die beteiligte Behörde am 2. Dezember 2021 die weitere Verlängerung der Haft bis zum 22. Dezember 2021. Diesen Antrag wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. Dezember 2021 zurück.
Mit Antrag vom 6. Dezember 2021 hat die beteiligte Behörde erneut beantragt, die gegen den Betroffenen angeordnete Sicherungshaft bis zum 22. Dezember 2021, hilfsweise bis zum 31. Dezember 2021, zu verlängern. Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2021 zurückgewiesen. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der beteiligten Behörde ordnete das Beschwerdegericht zunächst mit Beschluss vom 8. Dezember 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft bis zum 16. Dezember 2021 an. Nach Anhörung des Betroffenen im Beisein seiner Person des Vertrauens (Vertrauensperson) hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 den Beschluss des Amtsgerichts vom 7. Dezember 2021 aufgehoben und gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 22. Dezember 2021 angeordnet. Der Betroffene wurde am 21. Dezember 2021 nach Ägypten abgeschoben.
Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Vertrauensperson die Feststellung, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen in Vollzug des Beschlusses des Beschwerdegerichts vom 16. Dezember 2021 in Aufrechterhaltung des Beschlusses vom 8. Dezember 2021 den Betroffenen für den Zeitraum vom 8. Dezember 2021 bis zum 21. Dezember 2021 in seinen Rechten verletzt habe.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Das Beschwerdegericht hat den Haftantrag der beteiligten Behörde vom 6. Dezember 2021 für zulässig und begründet erachtet. Die Ausführungen der beteiligten Behörde zur Organisation der Abschiebung des Betroffenen und dem dafür voraussichtlich erforderlichen Zeitrahmen seien plausibel und nachvollziehbar gewesen. Der Betroffene habe sowohl die geplante Abschiebung am 14. Oktober als auch diejenige am 10. November 2021 vereitelt, sodass der Haftgrund der Fluchtgefahr vorgelegen habe. Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz sei nicht festzustellen; insbesondere habe seitens der beteiligten Behörde keine Veranlassung bestanden, schon früher auf eine Einzelchartermaßnahme hinzuwirken.
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Soweit die Vertrauensperson die Feststellung begehrt, dass der Betroffene durch den Vollzug der Haft im Zeitraum vom 8. bis 15. Dezember 2021 in seinen Rechten verletzt worden ist, ist die Rechtsbeschwerde bereits deshalb unbegründet, weil die Haft in dem genannten Zeitraum nicht auf Grundlage des Beschlusses vom 16. Dezember 2021 vollzogen worden ist. Grundlage für den Haftvollzug war insoweit - entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Einschätzung - allein der Beschluss des Beschwerdegerichts vom 8. Dezember 2021. Dies folgt schon daraus, dass die Anordnung von Haft allein für die Zukunft erfolgen kann. Dementsprechend enthält der Tenor des Beschlusses vom 16. Dezember 2021 auch weder eine rückwirkende Haftanordnung noch eine Bestätigung der Haftanordnung vom 8. Dezember 2021. Eine Auslegung des von der Rechtsbeschwerde gestellten Antrags dahingehend, dass (auch) der Beschluss vom 8. Dezember 2021 angefochten werden soll, kommt nicht in Betracht, da dieser eine Haftanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung enthält und die Rechtsbeschwerde daher gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unstatthaft wäre. Insoweit kommt es allein darauf an, welche Verfahrensweise das Gericht gewählt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 40/15, InfAuslR 2016, 55 Rn. 10).
b) Auch soweit die Feststellung begehrt wird, dass der Vollzug der Haft vom 16. bis 21. Dezember 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.
aa) Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde war der Haftverlängerungsantrag der beteiligten Behörde vom 6. Dezember 2021, welcher der Haftanordnung im angefochtenen Beschluss zugrunde liegt, nicht wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässig. Zwar war im Zeitpunkt des Eingangs dieses Antrags beim Amtsgericht das Verfahren über deren durch Beschluss vom 3. Dezember 2021 zurückgewiesenen Haftverlängerungsantrag vom 2. Dezember 2021 noch rechtshängig, da die Rechtshängigkeit eines Verfahrens bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung besteht (allg. M., vgl. nur BGH, Beschluss vom 1. Februar 1995 - VIII ZB 53/94, NJW 1995, 1095 [juris Rn. 8] mwN) und gemäß § 45 Satz 1 FamFG die formelle Rechtskraft nicht vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eintritt. Auch waren beide Anträge auf eine Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum 22. Dezember 2021 gerichtet und hatten daher zumindest teilweise denselben Streitgegenstand. Die beteiligte Behörde hat jedoch durch die Einreichung eines erneuten Haftantrags beim selben Gericht und zum selben Aktenzeichen, den sie auf einen teilweise ergänzten Sachverhalt gestützt und um einen Hilfsantrag ergänzt hat, statt gegen den Beschluss vom 3. Dezember 2021 Beschwerde einzulegen, zum Ausdruck gebracht, dass sie an ihrem Antrag vom 2. Dezember 2021 nicht länger festhalten, also diesen früheren Antrag zurücknehmen will, was jedenfalls während der noch laufenden Beschwerdefrist möglich war.
bb) Das Beschwerdegericht ist, nachdem der Betroffene sich - wie der Ausländerakte zu entnehmen ist - zwei Abschiebungsversuchen widersetzt hatte,
auch zutreffend vom Haftgrund der Fluchtgefahr ausgegangen. Der Betroffene hat die in § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG geregelte gesetzliche Vermutung für Fluchtgefahr nicht widerlegt. Ob die Fluchtgefahr im Streitfall auch aus einem Verstoß des Betroffenen gegen Mitwirkungspflichten folgte, wie das Beschwerdegericht angenommen hat, kann daher dahinstehen.
cc) Ohne Rechtsfehler hat das Beschwerdegericht schließlich einen Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot verneint. Es ist nicht zu beanstanden, dass es angenommen hat, die für den 21. Dezember 2021 geplante Rückführungsmaßnahme per Linienflug mit nunmehr vier Begleitpersonen werde gelingen. Aus diesem Grund hatte das Beschwerdegericht auch keinen Anlass aufzuklären, ob zu einem früheren Zeitpunkt eine Abschiebung mit einer Einzelchartermaßnahme möglich gewesen wäre.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Kirchhoff Picker Roloff Kochendörfer Tolkmitt Vorinstanzen: AG Paderborn, Entscheidung vom 07.12.2021 - 11 XIV (B) 220/21 LG Paderborn, Entscheidung vom 16.12.2021 - 5 T 257/21 -