4 StR 286/23
BUNDESGERICHTSHOF StR 286/23 BESCHLUSS vom 21. November 2023 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2023:211123B4STR286.23.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag und nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. November 2023 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 3. April 2023 aufgehoben a) mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite, soweit der Angeklagte im Fall II.2 der Urteilsgründe („Tat zu Ziffer 2 der Anklage“) verurteilt worden ist, b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte und die spätere Geschädigte miteinander befreundet und führten kurzzeitig eine intime Beziehung. Eine längerfristige Liebesbeziehung, wie sie sich der Angeklagte wünschte, wollte die Geschädigte nicht eingehen. Nachdem der Angeklagte erfahren hatte, dass die Geschädigte ihren früheren Lebensgefährten über Nacht zu Besuch gehabt hatte, kam es zu einem Streit zwischen beiden, in dessen Verlauf der Angeklagte die Geschädigte in Tötungsabsicht erwürgte. Nachdem die Geschädigte in eine tiefe Bewusstlosigkeit gefallen oder bereits gestorben war, brachte er Hundekot in ihren Rachen ein, um sie wegen ihres „vermeintlichen Fehlverhaltens ihm gegenüber“ herabzuwürdigen (Fall 1 der Urteilsgründe).
Danach unternahm der Angeklagte mehrere kurze Fahrten mit seinem Pkw, deren Grund die Strafkammer nicht sicher festgestellt, aber naheliegend in der Suche nach einem geeigneten Ablageort für die Leiche der Geschädigten gesehen hat. Mit dieser im Kofferraum fuhr er anschließend zu einem nahen Waldstück, wo er sie ablegte. Da er für möglich hielt, dass die Geschädigte noch lebte, fügte er ihrem Körper mit einem Messer mehrere Schnitt- und Stichverletzungen zu, um ihren Tod sicherzustellen (Fall 2 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat die Taten als Mord aus niedrigen Beweggründen in Tatmehrheit mit versuchtem Mord zur Verdeckung einer anderen Straftat gewertet und auf lebenslange Freiheitsstrafe als Einzelstrafe in beiden Fällen sowie als Gesamtstrafe erkannt.
2. Während der Schuldspruch und die Einzelstrafe im Fall 1 der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung standhalten, begegnet die Verurteilung im Fall 2 der Urteilsgründe wegen versuchten Mordes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe (auch) insoweit mit Tötungsabsicht gehandelt, beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.
a) Allerdings ist die Beweiswürdigung grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. September 2023 – 4 StR 148/23 Rn. 10 mwN).
b) So liegt es hier, denn die beweiswürdigenden Erwägungen der Schwurgerichtskammer zur inneren Tatseite im Fall 2 der Urteilsgründe weisen eine Lücke auf.
Das Landgericht hat insoweit aus Angaben des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten bei seiner vorläufigen Festnahme auf sein Verdeckungsmotiv und aus der Schwere der der Geschädigten beigebrachten Messerverletzungen auf einen direkten Tötungsvorsatz geschlossen. Hierbei hat es indes mehrere sich aufdrängende Umstände nicht erkennbar in den Blick genommen, die gegen die beidem zugrundeliegende Annahme sprechen, der Angeklagte habe die Geschädigte bei dem Messereinsatz noch für ein (möglicherweise) taugliches Tatopfer eines Tötungsdelikts gehalten.
Nach den Feststellungen würgte der Angeklagte die Geschädigte auch nach dem Eintritt ihrer Bewusstlosigkeit noch für mindestens eine Minute, wobei er wusste und wollte, dass das Würgen zu ihrem Tod führen werde. Danach brachte er Hundekot in ihren Rachen ein, was nur deshalb keinen Hustenreflex verursachte, weil die Geschädigte entweder im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit oder bereits tot war. Schon dies legt die Annahme, der Angeklagte könnte für möglich gehalten haben, dass die Geschädigte das Würgen überlebt habe, eher fern. Hinzu kommt der erhebliche zeitliche Abstand zwischen den beiden Taten. Nach den Urteilsfeststellungen kann zwischen dem Erwürgen und den Messerverletzungen ein Zeitraum von bis zu annähernd zwei Stunden gelegen haben (letzte Beobachtung des Angeklagten und der Geschädigten durch einen Zeugen um ca. 3:06 Uhr, Ablegen der Leiche am späteren Fundort um 5:06 Uhr). In dieser Zeit konnte der Angeklagte die Geschädigte, die seit dem Würgen weder das Bewusstsein zurückerlangt noch den Hundekot ausgehustet hatte, in seinen Kofferraum und von dort auf den Waldboden legen, wofür er naheliegend in engen Kontakt mit ihrem Körper gekommen sein dürfte. Dass und auf welcher Grundlage der Angeklagte unter diesen Umständen bei seinem Messereinsatz angenommen haben könnte, die Geschädigte könnte noch am Leben sein, erschließt sich ohne nähere Erörterung nicht.
Dieses Vorstellungsbild des Angeklagten wird angesichts dessen auch nicht von seiner im Urteil wiedergegebenen – knappen – Einlassung im Ermittlungsverfahren getragen, zumal diese ihrerseits nicht vollständig in Einklang mit den Feststellungen des Landgerichts steht. Der Angeklagte gab gegenüber der Polizei an, mit dem Messer „einmal zugestochen“ zu haben, wohingegen er der Leiche der Geschädigten nach den Feststellungen eine Stich- und daneben mehrere Schnittverletzungen beibrachte. Dem Urteil kann auch nicht entnommen werden, dass der Angeklagte eingeräumt hätte, das Messer erst mit dem festgestellten zeitlichen Abstand zu der Tat 1 der Urteilsgründe und an einem anderen Tatort eingesetzt zu haben. Vielmehr habe er die Geschädigte erst „gedrosselt“ und „dann“ bzw. „danach“ mit einem mitgeführten Messer zugestochen, um ihren Tod sicherzustellen. Mit einer möglichen Deutung dieser Einlassung dahingehend, dass der Angeklagte einen Messereinsatz unmittelbar nach dem Würgen am selben Tatort behaupten wollte, und mit dem Widerspruch der so verstandenen Einlassung zu den Beweismitteln, aufgrund deren sich das Landgericht von dem zeitlichen und örtlichen Abstand zwischen beiden Taten überzeugt hat, setzen sich die Urteilsgründe ebenfalls rechtsfehlerhaft nicht auseinander.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs und der Einzelstrafe im Fall 2 der Urteilsgründe entziehen der Gesamtstrafe die Grundlage. Demgegenüber werden die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
4. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Begründung, mit der die Schwurgerichtskammer im Fall 2 der Urteilsgründe eine Verschiebung des Strafrahmens des § 211 Abs. 1 StGB nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, rechtlichen Bedenken unterliegt. Ob wegen Versuchs eine Strafrahmenmilderung in Betracht kommt, ist auf der Grundlage einer Gesamtschau aller Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters zu beurteilen, wobei eine besonders sorgfältige Abwägung geboten ist, wenn – wie hier – von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2023 – 1 StR 284/22 Rn. 16 mwN).
Diesen Anforderungen genügen die knappen Erwägungen des Landgerichts nicht. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird im Übrigen, sollte sie wiederum zur Annahme eines Mordversuchs gelangen, zu beachten haben, dass der im Urteil für maßgeblich erachtete Gesichtspunkt, die Tat weise „eine sehr große Nähe zum vollendeten Delikt“ auf, mit den Feststellungen nicht übereinstimmt. Ein Versuch an einem untauglichen Tatobjekt, wie er hiernach gegeben war, weist gerade keine Vollendungsnähe auf.
Quentin Momsen-Pflanz Maatsch Marks Scheuß Vorinstanz: Landgericht Münster, 03.04.2023 ‒ 2 Ks - 30 Js 632/22 - 19/22