4 StR 173/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 173/24 URTEIL vom 10. Oktober 2024 in der Strafsache gegen wegen vorsätzlichen Vollrauschs ECLI:DE:BGH:2024:101024U4STR173.24.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober 2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Quentin,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maatsch, Dr. Scheuß, Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Dietsch, Marks als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin des Nebenklägers,
– in der Verhandlung –
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 8. Dezember 2023 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft sowie die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Hiergegen richten sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt ist und vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten wird, sowie die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Während das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg erzielt, ist die Revision des Angeklagten unbegründet.
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte trank an den meisten Wochenenden Alkohol und geriet dadurch regelmäßig in einen Rauschzustand. Am 15. April 2023 traf er sich mit Freunden in einem Brauhaus, wo er während des Abends fünf halbe Liter eines Starkbiers sowie mindestens fünf Gläser Schnaps trank. Aufgrund seiner Trinkgewohnheiten war ihm bewusst, dass er sich mit dem Genuss von großen Alkoholmengen in einen Rauschzustand versetzen würde. Er nahm billigend in Kauf, dass er durch den Alkoholkonsum in einen Zustand geraten würde, der sein Unterscheidungs- und Hemmungsvermögen oder seine Körperbeherrschung wesentlich beeinträchtigt.
Am späten Abend wurde der Angeklagte von einem seiner Freunde zum Bahnhof gebracht, wo er einen Zug bestieg, um nach Hause zu fahren. Aus nicht festgestelltem Grund stieg er vor Erreichen seines Heimatorts aus dem Zug aus und fuhr zurück. An einer auf der Rückstrecke gelegenen Haltestelle verließ er den Zug, suchte dort ein Taxi und bestieg um 1.00 Uhr den Wagen des Nebenklägers. Dieser verlangte für die Fahrt eine Vorauszahlung, weswegen sich der Angeklagte zunächst zu einem Geldautomaten fahren ließ und dort Geld abhob. Auf der weiteren Fahrt ließ der Angeklagte den Nebenkläger an einem Rastplatz halten. Dort begab er sich zu einem parkenden Lkw und klopfte an. Dem Lkw- Fahrer sagte er, dass er Angst vor dem Taxifahrer habe, woraufhin die Polizei gerufen wurde. Den erschienenen Polizeibeamten gegenüber gab der Angeklagte an, dass der Taxifahrer ihn umbringen möchte. Hierbei lachte er und nahm Bezug auf ein Spiel namens „Resident Evil 3“. Ein Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,47 mg/l. Der Angeklagte setzte sich danach wieder auf den Beifahrersitz des Taxis und der Nebenkläger setzte die Fahrt fort. Im Taxi hatte der Angeklagte „wiederum Angstzustände“. Nach der vom Landgericht für glaubhaft gehaltenen Zeugenaussage eines Polizeibeamten hielt die Besatzung des auf dem Rastplatz eingesetzten Streifenwagens das Taxi kurz darauf noch einmal an und dem Angeklagten wurde sein Ausweis, den er bei der Kontrolle hatte liegenlassen, ausgehändigt.
Auf der weiteren Fahrt fragte der Angeklagte den Nebenkläger nach Zigaretten, worauf dieser bei einer Tankstelle anhielt und beide das Taxi verließen. Der Angeklagte rempelte grundlos einen ihm unbekannten Mann an. Er erwarb dann ein Bier, wobei er der Tankstellenmitarbeiterin gegenüber äußerte, dass der Taxifahrer ihn umbringen wolle; er wurde als Betrunkener aber nicht ernstgenommen. Dem von ihm angerempelten Mann sagte er, dieser solle die Polizei rufen, er (der Angeklagte) werde jemanden umbringen und er werde als Straftäter gesucht. Anschließend stieg er wieder in das Taxi ein und der Nebenkläger setzte die Fahrt über eine Autobahn fort. Während er dort mit einer Geschwindigkeit von ca. 160 km/h fuhr, fragte der Angeklagte ihn, ob er schon mal „einen Unfall gebaut“ habe. Als der Nebenkläger dies bejahte, äußerte der Angeklagte: „Dann ist das jetzt dein letzter gewesen.“ Sodann lehnte er seinen Kopf auf die Schulter des sich keines Angriffs versehenden Nebenklägers, blockierte mit seinem Oberkörper eine etwaige Gegenwehr und griff in das Lenkrad, das er nach rechts riss. Wie vom Angeklagten beabsichtigt kam das Taxi hierdurch mit seiner weiterhin unverminderten Fahrgeschwindigkeit von der Fahrbahn ab und verunfallte. Dem Angeklagten kam es bei dem Griff in das Lenkrad darauf an, einen Unfall herbeizuführen, um das Taxi verlassen zu können, wobei er den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf nahm. Er verließ das Fahrzeug und lief davon, weil er annahm, dass der Nebenkläger telefonisch Freunde herbeiholen werde.
Eine dem Angeklagten knapp zwei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,55 ‰. Der Nebenkläger wurde durch den Unfall schwer verletzt, an seinem Fahrzeug entstand ein Totalschaden; er ist pflegebedürftig und musste seinen Taxibetrieb einstellen.
2. Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit wegen seiner Alkoholisierung nicht ausschließbar aufgehoben gewesen sei. Hierdurch hat es sich an einer Verurteilung wegen der Straftatbestände des versuchten Heimtückemordes, der gefährlichen Körperverletzung und des (vorsätzlichen) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, die es jeweils für objektiv und subjektiv verwirklicht gehalten hat, gehindert gesehen und die Tat als vorsätzlichen Vollrausch (§ 323a StGB) gewertet.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der diese sich vornehmlich gegen die Annahme einer nicht ausschließbar aufgehobenen Schuldfähigkeit und gegen die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wendet sowie eine zum Vorteil des Angeklagten rechtsfehlerhafte Strafzumessung rügt, erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet.
1. Das Rechtsmittel richtet sich gegen alle Urteilsteile. Die Beschwerdeführerin hat die Aufhebung des gesamten Urteils mit den Feststellungen beantragt. Soweit ihre zur Auslegung heranzuziehende Revisionsbegründung sich weder zu der Maßregel nach §§ 69, 69a StGB noch zu der unterbliebenen Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt verhält, liegt hierin jedenfalls keine wirksame Beschränkung des Rechtsmittelangriffs dahin, dass hinsichtlich des Maßregelausspruchs allein die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB angefochten wäre, denn die Vorschrift des § 72 StGB bewirkt eine so enge Verbindung der in Betracht kommenden Maßregeln, dass ein solcher Beschränkungswille jedenfalls unbeachtlich wäre (vgl. – zu § 64 und § 66 StGB – BGH, Urteil vom 19. Juni 2024 – 2 StR 2/24 Rn. 11 mwN).
2. Den Verfahrensrügen, mit denen die Beschwerdeführerin Verstöße gegen § 244 Abs. 4 und Abs. 2 StPO rügt, bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.
3. Die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch Rechtsfehler weder zum Vorteil noch zum Nachteil des Angeklagten (§ 301 StPO) ergeben. Insbesondere beruht die Annahme, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausschließbar aufgehoben war, auf einer tragfähigen Beweiswürdigung.
a) Das Landgericht hat sich insoweit auf das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen gestützt. Dieser hat, ausgehend von den beim Angeklagten vor und nach der Tat gemessenen Atem- und Blutalkoholwerten und von dessen Verhalten in der Tatnacht, angenommen, dass bei dem Angeklagten eine akute Alkoholintoxikation vorgelegen habe, die nach klinischen Maßstäben als schwerstgradiger Rauschzustand aufzufassen sei. Die gemessene Blutalkoholkonzentration unterstütze den klinischen Eindruck der schweren Intoxikation. Dass der Angeklagte nur geringe motorische Unsicherheiten gezeigt habe, stehe nicht entgegen; bei einem schweren Rauschzustand könne am ehesten noch die Motorik einigermaßen beherrscht werden. Bei Zugrundelegung der Angaben des Angeklagten zu seinem Angsterleben habe eine ausgeprägte schwere psychotische Symptomatik bestanden, die auf die Intoxikation zurückzuführen sei. Eine Sonderform einer Alkoholintoxikation sei die sogenannte abnorme Alkoholreaktion, die unter anderem durch Erregungszustände, Überreaktion auf Reize, Situationsverkennung und affektive Labilität, welche bis zur schweren Depression mit Suizidalität reichen könne, gekennzeichnet sei. Bei dem Angeklagten hätten die aufgetretene paranoide Situationsverkennung mit einem Bedrohungswahn und eine ausgeprägte Todesangst im Zustand der Alkoholintoxikation im Vordergrund gestanden. Die psychotische Symptomatik und die weiteren Einschränkungen durch die Alkoholintoxikation hätten das logische Durchdenken der Handlungen auf Vor- und Nachteile für den Angeklagten unmöglich gemacht. Die Fähigkeit, eigene Handlungen kritisch zu durchdenken und zu hinterfragen, sei in der ausgeprägten Angst um sein Leben nicht mehr gegeben gewesen. Insgesamt habe die Symptomatik der schweren Alkoholintoxikation dem Angeklagten das Handeln unter Berücksichtigung bekannter moralischer und strafrechtlicher Normen unmöglich gemacht, so dass seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar aufgehoben gewesen sei.
Das Landgericht ist dieser Einschätzung gefolgt. Dabei hat es angenommen, dass es sich bei der Schilderung des Angsterlebens durch den Angeklagten, welches der Sachverständige als Anknüpfungstatsache seiner Begutachtung verwendet hat, nicht um eine unwahre Schutzbehauptung gehandelt habe; jedenfalls müsse nach dem Zweifelsgrundsatz davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte die von ihm geschilderte Angst vor dem Nebenkläger tatsächlich empfunden habe. Hierfür spreche vor allem das Vortatgeschehen, bei dem der Angeklagte nach Aussage mehrerer Zeugen diesen gegenüber seine Angst vor dem Nebenkläger geäußert hatte. Dass er trotzdem mehrfach wieder in das Taxi eingestiegen sei, stehe nicht entgegen, denn bei einer abnormen Alkoholreaktion seien Stimmungsschwankungen – nach der Beurteilung des Sachverständigen – geradezu symptomatisch.
b) Gegen diese Ausführungen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre oder sogar nähergelegen hätte (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – 4 StR 32/23 Rn. 26; vom 16. Dezember 2021 ‒ 3 StR 302/21 Rn. 35; vom 11. März 2021 ‒ 3 StR 183/20 Rn. 14). Allerdings hat das Tatgericht den gesamten beigebrachten Verfahrensstoff erschöpfend zu würdigen. In den schriftlichen Urteilsgründen muss es dies erkennen lassen. Umstände, die geeignet sind, die gerichtliche Entscheidung wesentlich zu beeinflussen, dürfen nicht stillschweigend übergangen werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen werden (vgl. BGH, Urteile vom 27. Februar 2024 – 4 StR 248/23 Rn. 9; vom 26. April 2017 – 5 StR 445/16 Rn. 11; Beschluss vom 28. Januar 2010 – 5 StR 524/09, NStZ-RR 2010, 152, 153 Rn. 6 ff. mwN). Naheliegende Schlussfolgerungen sind zu erörtern (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08 Rn. 14 mwN). Bei alldem ist das Tatgericht – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20, NStZRR 2021, 114, 115 Rn. 6 mwN). Stützt sich das Tatgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf das Gutachten eines Sachverständigen, hat es daher dessen wesentliche Anknüpfungstatsachen und Ausführungen so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 – 4 StR 248/23 Rn. 9; Beschluss vom 22. Februar 2022 – 6 StR 553/21 Rn. 12 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.
(1) Entgegen der Rechtsauffassung des Generalbundesanwalts hat das Landgericht der Einlassung des Angeklagten zu seinem Angsterleben keinen zu hohen Beweiswert beigemessen. Zwar ist diese in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht durch Verteidigererklärung erfolgt, was ihren Beweiswert mindert (vgl. BGH, Urteile vom 28. Juni 2023 – 1 StR 421/22 Rn. 13; vom 11. März 2020 – 2 StR 69/19 Rn. 23). Diesem Gesichtspunkt musste das Landgericht unter den hier gegebenen Umständen indes keine erhebliche Bedeutung zumessen. Denn der Angeklagte hat – wie die Strafkammer durch eine Vielzahl von Zeugen belegt gesehen hat – in Einklang mit dem Inhalt der Verteidigererklärung seine Angst vor dem Nebenkläger bereits vor sowie kurz nach der Tat, auch zu diesem Zeitpunkt noch unverteidigt, mehrfach geäußert. Entsprechende Angaben machte er zudem in der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen.
(2) Die Beweiswürdigung ist auch nicht lückenhaft. Namentlich stellt es – entgegen der Zuschrift des Generalbundesanwalts – keinen Erörterungsmangel dar, dass das Landgericht sich nicht ausdrücklich damit auseinandergesetzt hat, dass der Angeklagte laut seiner Einlassung „direkt“ nach der Weiterfahrt von dem Rastplatz wieder überlegt habe, wie er aus dem Auto herauskommen solle, wohingegen ein als Zeuge vernommener Polizeibeamter kein auffälliges Verhalten des Angeklagten bei der kurz darauf erfolgten Rückgabe des Ausweises des Angeklagten bekundet hat. Denn das Landgericht hat ausgeführt, dass es Verhaltensweisen, die im Allgemeinen gegen die behauptete Angst sprechen könnten (nämlich das mehrfache Einsteigen in das Taxi), hier für nicht zu ihrer Widerlegung geeignet gehalten hat, weil mit dem Sachverständigen Stimmungsschwankungen als symptomatisch für die bei dem Angeklagten eingetretene Intoxikationswirkung („abnorme Alkoholreaktion“) anzusehen seien. Diese Würdigung, die nicht zirkelschlüssig ist, weil sie nicht das – seinerseits erst zu begründende – Bestehen der Störung voraussetzt, sondern nur deren – durch andere Beweismittel (Zeugenaussagen zu dem Vortatverhalten des Angeklagten) belegte – ernstliche Möglichkeit in Rechnung stellt, erfasst ersichtlich auch die mögliche gegenindizielle Bedeutung des unauffälligen Verhaltens des Angeklagten bei der Ausweisrückgabe.
Ebenso wenig musste sich das Landgericht unter den hier gegebenen Umständen gedrängt sehen, eine mögliche Suizidabsicht als alternatives Tatmotiv zu erörtern und auszuschließen (vgl. zu einem anders gelagerten Sachverhalt hingegen BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 – 4 StR 248/23). Denn den im Urteil wiedergegebenen Zeugenaussagen, denen das Landgericht Glauben geschenkt hat, ist zwar zu entnehmen, dass der Angeklagte vor und nach der Tat außer seinem Angstempfinden auch Selbsttötungsgedanken äußerte. Dass diese zweckrational handlungsleitend geworden sein könnten und nicht ebenfalls störungsbedingt waren, legen die Urteilsgründe indes nicht nahe.
4. Demgegenüber kann der Rechtsfolgenausspruch nur teilweise bestehen bleiben.
a) Der Maßregelausspruch weist keine Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil des Angeklagten auf.
aa) Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat Bestand. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Maßregel rechtlich bedenkenfrei verneint. Zwar kann dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden, dass es eine wenigstens erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten sicher festgestellt hat (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschluss vom 13. September 2023 – 4 StR 208/23). Es hat aber rechtsfehlerfrei angenommen, dass es sich bei der Alkoholintoxikation um eine nur vorübergehende Störung handelte, die als solche die Maßregel nicht zu begründen vermag. Anhaltspunkte für eine Konstellation, in der ausnahmsweise dennoch eine Unterbringung nach § 63 StGB in Betracht kommen könnte, namentlich für eine – ihrerseits dauerhaft bestehende – krankhafte Alkoholüberempfindlichkeit des Angeklagten, ergeben die Urteilsgründe nicht (vgl. zu derartigen Ausnahmekonstellationen BGH, Urteil vom 17. Februar 2021 – 2 StR 294/20 Rn. 36 mwN).
bb) Auch die Begründung, mit der das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das sachverständig beratene Landgericht hat zutreffend den strengeren Maßstab der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden Neufassung des § 64 StGB herangezogen und hiervon ausgehend bereits einen Hang des Angeklagten verneint, weil eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit nicht gegeben sei. Dies entspricht den Feststellungen des Landgerichts zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten und lässt sachlichrechtliche Mängel nicht erkennen.
cc) Schließlich ist der Maßregelausspruch auch nicht zum Nachteil des Angeklagten rechtsfehlerhaft (§ 301 StPO). Die Voraussetzungen der §§ 69, 69a StGB hat das Landgericht zutreffend angenommen. Bei der Maßregelanordnung gegen einen Beifahrer sind zwar besonders gewichtige Hinweise auf seinen Einfluss auf die Führung des Kraftfahrzeugs oder die Fahrweise zu fordern, aus denen sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2024 – 4 StR 205/23 Rn. 3; Beschluss vom 17. Februar 2004 – 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617). Diese sind hier angesichts der festgestellten Umstände der Rauschtat (Greifen in das Lenkrad bei sehr hoher Geschwindigkeit und unter Verhinderung von Abwehrmöglichkeiten des Fahrers) aber gegeben (vgl. zu derartigen Konstellationen auch Valerius in LK-StGB, 14. Aufl., § 69 Rn. 72 mwN).
b) Hingegen weist die Strafzumessung Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.
aa) Der vom Landgericht bei der Strafrahmenwahl herangezogene vertypte Strafmilderungsgrund gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB wird von den Feststellungen nicht getragen. Im Urteil ist zu einem etwaigen Täter-Opfer-Ausgleich lediglich knapp ausgeführt, dass der Angeklagte gegenüber dem Nebenkläger sein „tiefes Bedauern der Tat und der beim Nebenkläger eingetretenen Folgen ausgedrückt“ und eine „vom Nebenkläger angenommene vorläufige Vereinbarung über Schmerzensgeldzahlungen“ geschlossen habe. Darin habe sich der Angeklagte verpflichtet, an diesen innerhalb einer bestimmten Frist 20.000 Euro zu zahlen, wozu er vorhandene Wertanlagen „aufgelöst“ oder dies „in die Wege geleitet“ habe.
bb) Die gebotene eigenverantwortliche Prüfung, ob hierdurch die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB erfüllt wurden, kann – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Diese lassen schon offen, ob die vereinbarte Zahlung nach der übereinstimmenden Vorstellung des Angeklagten und des Nebenklägers überhaupt als – vollständiger – friedensstiftender Ausgleich der durch die Tat verursachten Folgen gelten oder aber lediglich einen Anteil hierzu leisten sollte; angesichts des Ausmaßes der festgestellten andauernden Beeinträchtigungen in der Lebensführung des Nebenklägers liegt Ersteres jedenfalls nicht auf der Hand.
Unbeschadet dessen darf für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs ohnehin nicht allein auf die subjektive Bewertung von Opfer und Täter abgestellt werden. Vorrangig ist vielmehr zu prüfen, ob die konkret erbrachten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können (vgl. BGH, Urteile vom 4. Januar 2024 – 5 StR 540/23 Rn. 13 f.; vom 22. Mai 2019 – 2 StR 203/18, NStZ-RR 2019, 369, 370). Dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können (vgl. BGH, Urteile vom 4. Januar 2024 – 5 StR 540/23 Rn. 13 f.; vom 7. Dezember 2005 – 1 StR 287/05, NStZ 2006, 275, 276).
Eine solche Bewertung hat das Landgericht nicht in nachvollziehbarer Weise vorgenommen. Dass sie hier die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs, nämlich wenigstens eines Erstrebens der Wiedergutmachung der Tatfolgen im Sinne des § 46a Nr. 1 StGB, ergeben hätte, versteht sich angesichts der Schwere derselben einerseits und der Höhe des vereinbarten Zahlbetrages sowie der festgestellten Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten auch nicht von selbst und bedarf daher erneuter Prüfung.
Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des Normalstrafrahmens des § 323a StGB auf eine höhere Strafe erkannt hätte, und hebt daher den Strafausspruch auf. Die zugehörigen Feststellungen werden von dem bloßen Wertungsfehler allerdings nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie dürfen durch ihnen nicht widersprechende weitere Feststellungen ergänzt werden.
III. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, denn das Urteil weist – aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts – durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf.
Quentin Dietsch Maatsch Marks Scheuß Vorinstanz: Landgericht Landshut, 08.12.2023 - 4 KLs 103 Js 12891/23