VIa ZB 6/23
BUNDESGERICHTSHOF VIa ZB 6/23 BESCHLUSS vom 13. Februar 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:130224BVIAZB6.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 35. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers hinsichtlich der Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV als unzulässig verworfen worden ist. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 27. Juni 2022 hinsichtlich des Berufungsantrags zu II als unbegründet zurückgewiesen wird.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert beträgt bis 35.000 €.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.
Er erwarb im November 2017 ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug mit Dieselmotor. Das Landgericht hat seine auf die Behauptung unzulässiger Abschalteinrichtungen gestützte Klage abgewiesen. Mit der dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger zuletzt die Zahlung von 32.304,65 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), die Zahlung von Deliktszinsen in Höhe von 4.419,65 € (Berufungsantrag zu II), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu III) und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu IV) beantragt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil sich die Berufungsbegründung nicht mit den tragenden Gründen des erstinstanzlichen Urteils auseinandersetze. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip).
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Darlegung, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger als unzutreffend bekämpft und welche rechtlichen oder tatsächlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen, ein anderes Verfahren betreffenden Textbausteinen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 68/19, NJW-RR 2020, 1187 Rn. 10 f.; Beschluss vom 16. Januar 2023 - VIa ZB 19/22, juris Rn. 8; Beschluss vom 22. Mai 2023 - VIa ZR 56/23, juris Rn. 5, jeweils mwN).
b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung des Klägers.
aa) Das Landgericht hat die Klageabweisung darauf gestützt, der Kläger könne nicht nachweisen, dass er das Fahrzeug bei Kenntnis von unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht erworben hätte. Der Erfahrungssatz, ein Fahrzeugkäufer werde bei Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb absehen, sei durch das spätere widersprüchliche Verhalten des Klägers erschüttert. Dieser habe einerseits keinen Gebrauch von dem verbrieften Rückgaberecht gemacht, das ihm für den Zeitpunkt der Fälligkeit der Schlussrate eingeräumt worden sei, andererseits habe er wenig später klageweise die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs begehrt.
bb) Mit dieser Argumentation des Landgerichts setzt sich die Berufungsbegründung des Klägers auseinander. Zwar hebt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, dass der Kläger die gebotene konkrete Auseinandersetzung mit der Begründung des Landgerichts nicht durch die Wiederholung hierauf nicht näher eingehenden erstinstanzlichen Vortrags ersetzen konnte. Indem die Berufungsbegründung aber auf Seite 3 f. (GA 157 f.) auf die Ausgangsentscheidung Bezug nimmt und sodann Ausführungen zu den Kaufmotiven des Klägers (mögen diese auch Klagevortrag wiederholen) Erwägungen zur Unbeachtlichkeit der (Nicht-)Ausübung eines verbrieften Rückgaberechts nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegenüberstellt, wendet sie sich erkennbar gegen die vorgenannte Würdigung des Landgerichts. Das genügt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts noch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO.
3. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich der Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da die Entscheidung sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 577 Abs. 3 ZPO. Letzteres ist indes hinsichtlich des Berufungsantrags zu II der Fall, mit dem der Kläger Deliktszinsen im Sinne von § 849 BGB begehrt, die ihm aus Rechtsgründen nicht zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 19; Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 1146/20, VersR 2021, 1510 Rn. 11; Urteil vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 1034/20, VersR 2023, 199 Rn. 5, jeweils mwN). Da die Sache hinsichtlich des Berufungsantrags zu II zur Endentscheidung reif ist, erfordert die Prozessökonomie insoweit eine Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2017 - IX ZB 73/16, WM 2017, 1614 Rn. 21; Beschluss vom 18. Dezember 2018 - XI ZB 16/18, WM 2019, 204 Rn. 17). Soweit die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen wird, wird dieses im weiteren Verfahren insbesondere die Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) sowie betreffend die Würdigung des verbrieften Rückgaberechts die Urteile des Senats vom 11. April 2022 (VIa ZR 135/21, juris Rn. 8) und vom 23. Oktober 2023 (VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232 Rn. 14) zu berücksichtigen haben.
C. Fischer Rensen Krüger Götz Katzenstein Vorinstanzen: LG Ingolstadt, Entscheidung vom 27.06.2022 - 43 O 534/21 Die OLG München, Entscheidung vom 15.02.2023 - 35 U 4439/22 -