5 StR 38/23
BUNDESGERICHTSHOF StR 38/23 BESCHLUSS vom 4. Mai 2023 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a.
ECLI:DE:BGH:2023:040523B5STR38.23.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Mai 2023 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 sowie § 206a Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.19 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; die Kosten fallen insoweit der Staatskasse zur Last.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 5. Oktober 2022 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II.3, II.9 und II.16 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 20 Fällen, davon in 17 Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, und wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt und zudem zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ausgesprochen, dass fünf Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf eine Verfahrensrüge sowie auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Während die Verfahrensrüge aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unzulässig ist, erzielt das Rechtsmittel mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen erweist es sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Verfahren ist im Fall II.19 der Entscheidungsgründe wegen Verjährung gemäß § 206a Abs. 1 StPO einzustellen. Infolgedessen entfällt die Verurteilung wegen eines Falls des Betruges.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts zu den Taten II.19 bis 21 der Urteilsgründe beantragte der Angeklagte als Beamter der Stadt F. gegenüber seinem Dienstherrn am 30. August 2010 (Tat II.19) die Zahlung von Familienzuschlag insbesondere auch für seine beiden Stiefkinder. Da er mit den Stiefkindern jedoch jedenfalls seit Anfang des Jahres 2008 nicht weiter in demselben Haushalt lebte, hatte er insoweit auf die Zahlung keinen Anspruch mehr. Dies war dem Angeklagten bewusst. In der Folge erklärte er auch am 5. April 2013 und am 7. Mai 2014 (Taten II.20 und 21) ausdrücklich, dass sich an seinen persönlichen Verhältnissen – also auch dem Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes mit seiner Ehefrau und den Stieftöchtern – nichts geändert habe. Insgesamt bezog er aufgrund seiner falschen Angaben für seine Stieftöchter Familienzuschlag in Höhe von 33.338,92 Euro.
b) Hinsichtlich des durch diese Handlungen allein erfüllten Tatbestands des Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB wurde die für die Verfolgungsverjährung maßgebliche Verjährungsfrist von fünf Jahren (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) für die Tat II.21 der Urteilsgründe vom 7. Mai 2014 rechtzeitig unterbrochen durch die Erhebung der Anklage am 24. August 2018 (§ 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB). Gleiches gilt für die Tat II.20 (Erklärung vom 5. April 2013). Denn dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, dass dem Angeklagten bis April 2014 der Familienzuschlag auf Basis jener Angaben ausbezahlt wurde, bevor er die nachfolgende Erklärung vom 7. Mai 2014 abgab. Damit traten noch bis ins Frühjahr 2014 Taterfolge ein, die der Tat II.20 zuzuordnen sind, so dass diese zuvor nicht beendet war. Gemäß § 78a Satz 2 StGB begann die Verjährungsfrist erst mit der letzten derartigen Zahlung (vgl. für den Fall eines auf den Erhalt laufender Leistungen gerichteten Betrugs BGH, Beschluss vom 2. Mai 2001 – 2 StR 149/01, BGHR StGB § 78a Satz 1 Betrug 2; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 78a Rn. 8a).
c) Für die Tat II.19 der Urteilsgründe vom 30. August 2010 ist dagegen das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1 StGB) eingetreten. Zum Zeitpunkt der Erhebung der Anklage als dem ersten zur Unterbrechung der Verjährung geeigneten Ereignis war die Verjährungsfrist bereits abgelaufen, denn sie hatte jedenfalls mit dem letzten monatlichen Zahlungstermin vor Wirksamwerden der nachfolgenden Erklärung des Angeklagten vom 5. April 2013 begonnen.
Die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Flensburg vom 6. Oktober 2014 und die anschließende Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens am 14. Oktober 2014 waren nicht geeignet, den Lauf der Verjährungsfrist zu unterbrechen, auch wenn sie alle Taten betrafen, die seinerzeit Gegenstand der Ermittlungen waren.
Insoweit gilt: Wird wegen mehrerer Taten ermittelt, so bezieht sich die Unterbrechungswirkung zwar grundsätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen Taten, sofern nicht der Verfolgungswille des tätig werdenden Strafverfolgungsorgans erkennbar auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1995 – 1 StR 491/95, BGHR StGB § 78c I Handlung 4; BGH, Beschluss vom 23. Mai 1990 – 3 StR 163/89, § 78c I Nr. 1 Bekanntgabe 2). Dabei kann bei einer Vielzahl von Taten zu Beginn der Ermittlungen eine zusammenfassende Kennzeichnung des Tatkomplexes ausreichend sein, wobei die Aufführung aller zugehörigen Einzelfälle häufig noch gar nicht möglich, aber auch nicht erforderlich ist. Entsprechend braucht das in Bezug genommene Geschehen noch nicht in allen Einzelheiten, die zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens oft erst noch geklärt werden müssen, festzustehen. Es sind jedoch Anhaltspunkte nötig, die es von denkbaren anderen ähnlichen oder gleichartigen Lebenssachverhalten unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2000 – 3 StR 94/00, NJW 2000, 2829). Damit hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, welche Taten innerhalb eines bestimmten Geschehenskomplexes Gegenstand einer Untersuchungshandlung sind. Für die Bestimmung des Verfolgungswillens der Strafverfolgungsorgane ist neben dem Wortlaut der Verfügung auch der Sach- und Verfahrenszusammenhang entscheidend, wobei der Akteninhalt zur Auslegung heranzuziehen ist (vgl. BGH aaO; BGH, Beschluss vom 5. April 2000 – 5 StR 226/99).
Gemessen an diesen Grundsätzen bezogen sich die Durchsuchungsanordnung und die anschließende Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens nicht auf die Taten II.19 bis 21 der Urteilsgründe. Beide Maßnahmen waren auf Betrugstaten zulasten der Beihilfestelle der Stadt F.
durch Einreichung falscher Rechnungen gerichtet. Zwar hatte man ausdrücklich die Möglichkeit im Blick, dass der Angeklagte solche „bereits in der Vergangenheit vorgelegt hat“.
Seine falschen Erklärungen zur Gewährung eines Familienzuschlags besaßen jedoch einen anderen Gegenstand: Sie richteten sich nicht an die Beihilfestelle.
Getäuscht wurde über die familiäre Wohnsituation und nicht über die Aussteller von Arztrechnungen. Ausweislich der Akten (vgl. den polizeilichen Vermerk vom
17. Dezember 2014 zum dort so bezeichneten Ermittlungskomplex III) entstand zudem erst nach der Durchsuchung der Verdacht, dass auch falschen Angaben des Angeklagten gegenüber seinem Dienstherrn zum unveränderten Fortbestehen seiner persönlichen Verhältnisse strafrechtliche Relevanz zukommen könnte.
2. Hinsichtlich der Fälle II.3, II.9 und II.16 der Urteilsgründe wird die tateinheitliche Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.
a) Zu den Fällen II.1 bis 18 der Urteilsgründe hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte fertigte insgesamt 102 falsche Arztrechnungen, Rezepte und Fahrtkostenabrechnungen in der Absicht, diese später der Beihilfestelle der Stadt F.
als angeblich echt zur Abrechnung vorzulegen. Er ging dabei so vor, dass er teilweise Rechnungen wie die des ärztlichen Abrechnungsdienstes O. d. vollständig selbst am PC erstellte. In anderen Fällen verfälschte er Rezepte oder Rechnungen, die in der Vergangenheit tatsächlich durch einen Arzt ausgestellt worden waren, indem er das Datum der Originale und weitere Angaben jeweils mit an seinem PC selbst hergestellten Papierausschnitten überklebte, welche das aktuell gewünschte Datum oder weitere Daten zeigten. Von dem so neu zusammengesetzten Dokument fertigte er zur Verdeckung der vorherigen Manipulation eine Kopie, die er sodann im Rahmen des Beihilfeantrags einreichte. Darüber hinaus machte der Angeklagte gegenüber der Stadt F. Ansprüche auf eine sogenannte Verhinderungspflege für seine Stieftochter geltend. Dazu fertigte er Erklärungen über angeblich aufgewandte Pflegestunden im Namen der Zeugin V. und unterzeichnete diese mit einem entsprechenden Schriftzug. Insgesamt reichte der Angeklagte in 18 Fällen Beihilfeanträge mit Rechnungen ein, die er in einer der beschriebenen Vorgehensweisen selbst erstellt hatte. Die Beihilfestelle erstattete zu Unrecht einen Betrag in Höhe von insgesamt 23.668,72 Euro. Beim letzten Antrag (Fall II.18 der Urteilsgründe) wurde keine Beihilfeleistung mehr angewiesen, da die Sachbearbeiterin der Beihilfestelle Verdacht schöpfte.
b) Die Strafkammer hat in allen 18 Fällen neben einem vollendeten oder versuchten Betrug eine tateinheitliche Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung bejaht. Dabei hat sie zutreffend eine Strafbarkeit nach § 267 Abs. 1 Alt. 1 StGB angenommen, soweit der Angeklagte Rechnungen vollständig selbst am PC erstellte (betreffend jedenfalls die Rechnungen von O. d. ), die er offenbar ausdruckte, und soweit er Rechnungen für eine angebliche Verhinderungspflege für seine Stieftochter ebenfalls als solche neu erstellte und unterzeichnete. Hierdurch hat er jeweils unechte Urkunden hergestellt, die er mit Vorlage bei der Beihilfestelle zudem im Sinne von § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB im Rechtsverkehr gebrauchte.
Soweit der Angeklagte Originalrechnungen mit beschrifteten Papierausschnitten überklebte und dann von dem neu zusammengesetzten Dokument jeweils eine Kopie bei der Beihilfestelle einreichte, ist das Landgericht dagegen zu Unrecht davon ausgegangen, dass damit im Sinne von § 267 Abs. 1 Alt. 2 StGB echte Urkunden verfälscht wurden. Denn die für diese Tatvariante erforderliche nachträgliche Änderung des Erklärungs- und Beweisgehalts einer Urkunde muss einerseits, wenn auch nicht unumkehrbar, so doch auf Dauer angelegt sein (LK-StGB/Zieschang, 12. Aufl., § 267 Rn. 192) und darf andererseits dem Tatobjekt seine Urkundeneigenschaft nicht nehmen (Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 267 Rn. 67, 72). Das Ergebnis der Verfälschung muss daher weiterhin die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB aufweisen (vgl. auch BGH, Urteil vom 5. September 2017 – 1 StR 198/17, NZWiSt 2018, 66 Rn. 24), also eine verkörperte Erklärung enthalten, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt ist, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lässt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Juli 2012 – 5 StR 380/11, NStZ 2013, 105). Eine – als solche erkennbare – Collage ist demnach keine Urkunde (BGH, Urteil vom 14. September 1993 – 5 StR 283/93, wistra 1993, 341; Beschluss vom 26. Februar 2003 – 2 StR 411/02, NStZ 2003, 543), weil ihr die Eignung und Bestimmung fehlt, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen (BayObLG, Beschluss vom 11. Mai 1992 – 5 St RR 16/92, NJW 1992, 3311).
Das Vorgehen des Angeklagten, bei der Beihilfestelle jeweils nur Kopien derartiger Collagen einzureichen, erfüllte daher auch nicht den Tatbestand des Gebrauchmachens von einer unechten oder verfälschten Urkunde. Zwar kann von einer Urschrift auch in der Weise im Sinne des § 267 Abs. 1 Alt. 3 StGB Gebrauch gemacht werden, dass dem zu täuschenden Rechtsverkehr eine Ablichtung zugänglich gemacht wird (BGH, Urteil vom 11. Mai 1971 – 1 StR 387/70,
BGHSt 24, 140). Ein derartiges mittelbares Gebrauchmachen setzt jedoch gleichfalls eine unechte oder verfälschte Urkunde voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 1999 – 5 StR 684/98, NStZ 1999, 620; Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 StR 20/16, NJW 2016, 3543), an der es hier fehlt (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2003 – 2 StR 411/02, NStZ 2003, 543). Da der Angeklagte offensichtlich Kopien vorlegte, die als solche erkennbar waren und nicht den Eindruck von Originalen erwecken sollten, bildeten auch sie keine tauglichen Tatobjekte (vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Mai 1971 – 1 StR 387/70, BGHSt 24, 140; vom 14. September 1993 – 5 StR 283/93, wistra 1993, 341; MüKo-StGB/Erb, 4. Aufl., § 267 Rn. 97).
c) Während in den Fällen II.1 und 2, 4 bis 8, 10 bis 15 sowie 17 und 18 der Urteilsgründe der Schuldspruch jedenfalls durch die Feststellungen getragen wird, weil mit den dortigen Beihilfeanträgen jeweils mindestens eine Rechnung der Firma O. d. oder aber eine Rechnung über angeblich erbrachte Verhinderungspflege eingereicht wurde, geht in den Fällen II.3, II.9 und II.16 der Urteilsgründe aus den Feststellungen nicht hervor, ob nur Kopien eingereicht worden sind, denen eine Collage zugrunde lag, oder ob zusätzlich auch vollständig am PC erstellte Rechnungen eingesetzt wurden. Dies zwingt insoweit zur Aufhebung des Schuldspruchs und der Aussprüche über die zugehörigen Einzelstrafen, weil damit bislang nicht ausschließbar ist, dass mit den Beihilfeanträgen jeweils allein Kopien von Collagen eingereicht wurden, für die eine Verurteilung wegen Urkundenfälschung nicht in Betracht kommt. Der aufgezeigte Mangel bedingt jeweils zugleich die Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Betruges.
Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, weil reine Wertungsfehler vorliegen. Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
3. Der Aufhebung der Verurteilung in den angeführten Fällen entzieht auch der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
Cirener Mosbacher RiBGH Köhler ist im Urlaub und kann nicht unterschreiben.
Cirener von Häfen Werner Vorinstanz: Landgericht Flensburg, 05.10.2022 - VIII KLs 107 Js 17681/14 (2)