VIa ZR 885/22
BUNDESGERICHTSHOF VIa ZR 885/22 IM NAMEN DES VOLKES URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 13. November 2023 Bürk Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:131123UVIAZR885.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen, die Richterinnen Wille und Dr. VogtBeheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte im Jahr 2016 bei der Beklagten für 55.300 € einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 350 T BlueTEC, der mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle des Fahrzeugs erfolgt unter Verwendung einer in Abhängigkeit von Temperaturen gesteuerten Abgasrückführung sowie eines SCR-Systems.
Der Kläger, dessen Klage in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat die Beklagte zuletzt auf Zahlung in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts gezogener Nutzungen zuzüglich Finanzierungskosten nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs in Anspruch genommen und wegen einer ursprünglich höheren Forderung den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt. Außerdem hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt und die Erstattung und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten beansprucht. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er Ansprüche auf seine deliktische Schädigung durch die Beklagte stützt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu, da er seine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht hinreichend dargetan habe. In der Verwendung eines Thermofensters liege kein sittenwidriges Verhalten, weil die Rechtslage zu dem maßgebenden Zeitpunkt nicht geklärt gewesen sei und die Beklagte deshalb nicht habe davon ausgehen müssen, dass die Implementierung eines Thermofensters rechtswidrig sei. Hinsichtlich des SCR-Systems habe der Kläger schon das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht hinreichend dargetan. Er habe einen Prüfstandsbezug der Steuerung des SCR-Systems nicht hinreichend vorgetragen. Das Gleiche gelte für ein besonders verwerfliches Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen.
Dem Kläger stehe auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liege das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich der als Schutzgesetz in Frage kommenden Bestimmungen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit über das schlichte, nicht weiter erläuterte Zitat des § 826 BGB in der Revisionsbegründung hinaus auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die Berufungsentscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Menges Götz Wille Vogt-Beheim Vorinstanzen: LG Saarbrücken, Entscheidung vom 13.12.2019 - 12 O 103/19 OLG Saarbrücken, Entscheidung vom 30.05.2022 - 3 U 3/22 - Rensen