VIa ZR 1149/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1149/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:221024UVIAZR1149.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. Oktober 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger und die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb einen von der Beklagten hergestellten Mercedes-Benz GLE 350 d 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von einem vom Kraftfahrt- Bundesamt veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützten Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Kläger stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Dass in seinem Fahrzeug eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) vorhanden sei, habe er bereits nicht ausreichend vorgetragen. Im Übrigen könne - auch hinsichtlich des behaupteten Thermofensters - eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht festgestellt werden, so dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe. Der geltend gemachte Anspruch lasse sich ferner nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten. Diese Vorschriften seien nicht als Schutzgesetze zu betrachten, die das Interesse schützten, eine ungewollte Verbindlichkeit nicht einzugehen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
1. Ohne Erfolg bleibt die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Rüge der Beklagten, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert. Schon ausweislich des von der Beklagten in Bezug genommenen Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 16. November 2021 hat der Kläger unstreitig den Kaufpreis gezahlt und ist Eigentümer und Besitzer des Fahrzeugs. Dies entspricht den Feststellungen der Instanzentscheidungen.
2. Die Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg, soweit das Berufungsgericht angenommen hat, der Kläger habe bereits nicht ausreichend vorgetragen, in seinem Fahrzeug sei eine KSR vorhanden, und soweit es im Übrigen eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB - auch hinsichtlich des behaupteten Thermofensters - verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Der angefochtene Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Krüger Götz Rensen Katzenstein Vorinstanzen: LG Regensburg, Entscheidung vom 23.11.2021 - 82 O 297/21 OLG Nürnberg, Entscheidung vom 20.07.2022 - 5 U 4625/21 - Verkündet am: 22. Oktober 2024 Bachmann, Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle