IV ZB 14/22
BUNDESGERICHTSHOF IV ZB 14/22 BESCHLUSS vom 29. Mai 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:290524BIVZB14.22.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Götz, Dr. Bommel, Rust und Piontek am 29. Mai 2024 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 22. März 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf bis 4.000 € festgesetzt.
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Landgerichts.
Das Urteil ist dem Kläger am 25. November 2021 zugestellt worden. Er hat dagegen fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist beim Oberlandesgericht unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführt worden. Auf einen schriftsätzlichen Antrag des Klägers, der das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug, ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Februar 2022 verlängert worden. Am 21. Februar 2022 ist über das besondere elektronische Anwaltspostfach eine Berufungsbegründung eingereicht worden, die wiederum das Aktenzeichen 20 U 231/21 sowie das Rubrum des unter dem Aktenzeichen 20 U 321/21 geführten Berufungsverfahrens trug und in die elektronische Akte des Verfahrens 20 U 231/21 eingeordnet wurde.
Nach einem Hinweis des Oberlandesgerichts vom 1. März 2022, dass mangels Eingangs einer Berufungsbegründung die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig beabsichtigt sei, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14. März 2022, der erneut unter dem Aktenzeichen 20 U 231/21 eingereicht und in die Akte dieses Verfahrens eingeordnet wurde, auf die Übermittlung der Berufungsbegründung am 21. Februar 2022 hingewiesen.
Das Berufungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 30/23, WM 2024, 815 Rn. 5 m.w.N.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte das Rechtsmittel nicht wegen einer Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der am 21. Februar 2022 eingegangene Schriftsatz hat die Frist gewahrt.
a) Die Angabe des falschen Aktenzeichens steht für sich genommen dem fristgerechten Eingang der Berufungsbegründung nicht entgegen. Das Gesetz schreibt in den § 129 Abs. 1, § 130 ZPO - die gemäß § 520 Abs. 5 ZPO auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden sind - die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Die Angabe eines Aktenzeichens soll die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Es handelt sich um eine Ordnungsmaßnahme, die für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist (Senatsbeschluss vom 18. November 2015 - IV ZB 22/15, juris Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 12. März 2024 - VI ZR 166/22, juris Rn. 13; vom 25. Januar 2017 - XII ZB 567/15, NJW-RR 2017, 385 Rn. 7; jeweils m.w.N.). Für den Eingang der Berufungsbegründung ist es dabei unerheblich, ob der Schriftsatz anhand des Aktenzeichens bereits innerhalb der Berufungsbegründungsfrist in die für diese Sache angelegte Akte eingeordnet wurde (Senatsbeschluss vom 18. November 2015 aaO m.w.N.). Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird, sondern allein, dass es vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt (vgl. BGH,
Beschluss vom 20. Februar 2024 - VIII ZR 238/22, NJW-RR 2024, 548 Rn. 17 m.w.N.; BVerfG NJW 2023, 2173 Rn. 26).
Der Berufungsbegründung muss allerdings zweifelsfrei zu entnehmen sein, zu welchem Verfahren sie eingereicht werden soll. Unrichtige Angaben schaden nur dann nicht, wenn auf Grund sonstiger, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Prozessgegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist (Senatsbeschluss 18. November 2015 - IV ZB 22/15, juris Rn. 11 m.w.N.). Wurde durch die Angabe eines falschen Aktenzeichens eine Unsicherheit darüber herbeigeführt, in welcher Sache die Rechtsmittelbegründung eingereicht wurde, ist diese nach dem Inhalt der schriftsätzlichen Ausführungen des Rechtsanwalts dem richtigen Verfahren zuzuordnen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2017 - XII ZB 567/15, NJW-RR 2017, 385 Rn. 8 m.w.N.).
b) An diesen - auch für die elektronische Übermittlung geltenden Grundsätzen gemessen war die Berufungsbegründung vom 21. Februar 2022 - auch wenn sie das falsche Aktenzeichen trägt - ohne Zweifel dem richtigen Berufungsverfahren zuzuordnen. Denn der Schriftsatz enthält das richtige Rubrum des Berufungsverfahrens sowie im Eingangssatz und im Antrag eine ausdrückliche Bezugnahme auf die mit der Berufung angefochtene - nach Gericht, Entscheidungsdatum und erstinstanzlichem Aktenzeichen zutreffend bezeichnete - Entscheidung. Auch das Berufungsgericht ist - nach der Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig - davon ausgegangen, dass die eingereichte Begründung fälschlich dem Verfahren 20 U 231/21 zugeordnet worden ist, wie sich aus in jenem Verfahren erteilten Hinweis vom 15. Mai 2022 ergibt.
3. Der die Berufung des Klägers als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Harsdorf-Gebhardt Rust Dr. Götz Dr. Bommel Piontek Vorinstanzen: LG Bonn, Entscheidung vom 24.11.2021 - 41 O 20/21 OLG Köln, Entscheidung vom 22.03.2022 - 20 U 321/21 -