AK 54/24
BUNDESGERICHTSHOF AK 53-55/24 BESCHLUSS vom 26. Juni 2024 in dem Ermittlungsverfahren gegen
1. 2.
3.
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ECLI:DE:BGH:2024:260624BAK53.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschuldigten und ihrer Verteidiger am 26. Juni 2024 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
I.
1 Die Beschuldigten A. und B.
sind aufgrund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 2023
(5 BGs 314/23 [A. ], 5 BGs 315/23 [B. ]) am 14. Dezember 2023 festgenommen worden und befinden sich seit dem Folgetag in Untersuchungshaft.
Der weitere Beschuldigte E.
ist am 14. Dezember 2023 vorläufig festgenommen worden und befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2023 (5 BGs 331/23)
seit diesem Tag in Untersuchungshaft.
Gegenstand der Haftbefehle ist der Vorwurf, die Beschuldigten hätten sich im Zeitraum von Anfang Februar 2023 bis zu ihrer Verhaftung in Be. und anderenorts jeweils an einer terroristischen Vereinigung im Ausland - der Vereinigung HAMAS - mitgliedschaftlich beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen. Die Haftbefehle gehen insofern von einer mutmaßlichen Strafbarkeit der Beschuldigten gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB aus.
Der Senat hat mit Beschluss vom 10. April 2024 (StB 20/24) eine Haftbeschwerde des Beschuldigten B.
und mit Beschluss vom 30. April 2024
(StB 25/24) eine solche des Beschuldigten A. verworfen.
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, gemäß §§ 121, 122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.
II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Die Beschuldigten sind der ihnen mit den vorgenannten Haftbefehlen zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die Vereinigung HAMAS ist eine aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene sunnitische Organisation mit militant-extremistischer Ausrichtung, die sich die Vernichtung des Staates Israel und die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas zum Ziel gesetzt hat. HAMAS steht im Arabischen für „Eifer“ und ist zugleich ein Akronym für „Harakat al-Muqawama al-Islamiya“ („Islamische Widerstandsbewegung“). Die dschihadistische Vereinigung wurde während der ersten palästinensischen „Intifada“ am 14. Dezember in Gaza-Stadt gegründet; seither geht sie mit Gewalt gegen Israel und israelische Interessen vor. Sie verübte und verübt Angriffe gegen den israelischen Staat und terroristische Anschläge auf Angehörige der israelischen Zivilbevölkerung.
Nachdem die HAMAS die konkurrierende säkulare palästinensische Fatah-Bewegung im Frühjahr 2007 aus dem Gazastreifen verdrängt hatte, übernahm sie dort die alleinige Regierungsgewalt. Bis zum Einmarsch des israelischen Militärs im Herbst 2023 in Reaktion auf einen großangelegten Angriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 stand der Gazastreifen unter der Kontrolle der HAMAS und wurde faktisch von ihr regiert.
Die HAMAS negiert das Existenzrecht Israels und steht für einen bewaffneten Kampf gegen Israel bis zu dessen endgültiger Vernichtung. Friedensgespräche mit Israel lehnt sie ebenso ab wie eine „Zwei-Staaten-Lösung“. Ihre Ideologie ist ausgerichtet auf einen rein muslimischen Staat unter der Geltung der Scharia, der sich auf das gesamte historische Palästina und damit auch auf das Staatsgebiet Israels erstreckt.
Die HAMAS verfügt über gefestigte organisatorische Strukturen zur Ausübung der Herrschaft im Gazastreifen und Durchsetzung ihrer Ziele. Die politische Führung besteht aus einer Inlandsführung im Gazastreifen und einer Auslandsführung, deren Hauptquartier sich gegenwärtig in Katar befindet. Die Führung ist gegliedert in einen Schura-Rat, der aus 77 HAMAS-Mitgliedern besteht, und ein von diesem gewähltes fünfzehnköpfiges Politbüro als Exekutivorgan. Angeführt wird die Vereinigung von dem Vorsitzenden des Politbüros und einem Vorsitzenden der Inlandsführung im Gazastreifen. So genannte „Izz al-Din alQassam“-Brigaden (Qassam-Brigaden) bilden als paramilitärische Einheiten den militärischen Flügel der Vereinigung. Diese Brigaden bestehen aus spezialisierten Zellen im Gazastreifen und im Westjordanland, die für die Ausführung terroristischer Anschläge verantwortlich sind. Mit diesen quasi-militärischen Strukturen, die von der politischen Führung der HAMAS eng und effektiv kontrolliert werden, ist die Vereinigung darauf ausgerichtet, zur Umsetzung ihrer Ziele Tötungsdelikte und damit Straftaten im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu begehen.
Nach ihrer Gründung verübte die Organisation zunächst eine Vielzahl von Sprengstoffanschlägen in Israel und den von Israel besetzten Gebieten, häufig durch Selbstmordattentäter. Dadurch wurde - wie beabsichtigt - eine große Zahl von Zivilpersonen getötet und verletzt. Ab 2004 verlagerte sich das Vorgehen der HAMAS gegen Israel von Selbstmordanschlägen auf Distanzangriffe mittels „Kassam“-Raketen und Mörsergranaten insbesondere aus dem Gazastreifen heraus auf israelisches Staatsgebiet.
Am 7. Oktober 2023 führte die HAMAS einen massiven Angriff auf Israel durch, bei dem nicht nur das israelische Staatsgebiet mit Raketen beschossen wurde, sondern die Vereinigung auch mit einer großen Zahl von Kämpfern auf israelisches Gebiet eindrang, dort mehr als eintausend Zivilisten tötete sowie über zweihundert Personen als Geiseln nahm und in den Gazastreifen verschleppte. Israel reagierte hierauf mit einem umfassenden Militäreinsatz im Gazastreifen, der gegenwärtig fortdauert und dessen Ziel die Zerschlagung der HAMAS ist.
Die Organisation verfügt über verschiedene Einnahmequellen im In- und Ausland. Dazu zählen neben Spenden und Steuereinnahmen aufgrund der Herrschaft im Gazastreifen auch Finanzhilfen aus arabischen und islamischen Staaten wie dem Iran und Katar. Mit diesen Einnahmen finanziert die HAMAS unter anderem ihren militärischen Flügel und die von diesem durchgeführten Angriffe und verübten Anschläge.
Die HAMAS wird von der Europäischen Union als terroristische Vereinigung gelistet. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat hat mit Verfügung vom 2. November 2023 ein Betätigungsverbot gegenüber der HAMAS erlassen.
bb) Die HAMAS legte vor längerer Zeit in Europa versteckte Erddepots als Waffenlager an, um dort Schusswaffen für etwaige zukünftige Anschläge gegen israelische beziehungsweise jüdische Einrichtungen in europäischen Staaten vorrätig zu halten. Ein solches Waffendepot wurde in der Region Jeleniow im Südwesten Polens errichtet; ein weiteres - kürzlich von den Ermittlungsbehörden entdecktes - in Bulgarien. Verantwortlich für diese organisatorischen Vorkehrungen und die Vorbereitung von Anschlägen der HAMAS in Europa war bis zu seinem Tod aufgrund eines israelischen Luftangriffs am 21. November 2023 der im Libanon ansässige hochrangige HAMAS-Funktionär Khalil Hamed Al Kharraz (alias Abu Khaled).
cc) Die im Libanon geborenen Beschuldigten schlossen sich bereits vor etlichen Jahren der HAMAS an und wurden als Mitglieder in die Vereinigung aufgenommen. Sie standen jeweils mit Al Kharraz in engem persönlichem Kontakt. Ihnen oblag es ab Februar 2023, das in Polen befindliche Depot ausfindig zu machen, die dort gelagerten Waffen nach Deutschland zu verbringen und hier bereit zu halten, um es der HAMAS zu ermöglichen, mit diesen in Aussicht genommene, wenngleich noch nicht konkret geplante Anschläge auf israelische beziehungsweise jüdische Einrichtungen in Deutschland zu verüben. Offenbar war der genaue Ort, an dem das Waffenlager in Polen angelegt worden war, bei der HAMAS nicht mehr bekannt. Zudem war jedenfalls der Beschuldigte A. eingebunden in die Auskundschaftung in Aussicht genommener möglicher Anschlagsziele in der Bundesrepublik, darunter die israelische Botschaft in Berlin.
Federführend bei diesen Bemühungen, die unmittelbar von den auch für Auslandsoperationen zuständigen „Izz al-Din al-Qassam“-Brigaden der HAMAS aus dem Libanon heraus gesteuert wurden, war der als „Auslandsoperateur“ der HAMAS eingesetzte und im Libanon ansässige Beschuldigte A. , der zunächst im Februar, März und Mai 2023 insgesamt fünf Mal aus dem Libanon nach Deutschland reiste, um im Auftrag des Al Kharraz die Verbringung der Waffen nach Deutschland und die Vorbereitung von Anschlägen zu organisieren. Dabei standen ihm die in Be. wohnhaften und dort für die Vereinigung als weitere
„Auslandsoperateure“ tätigen Beschuldigten B.
und E.
sowie der Mitbeschuldigte R. - den diese Haftfortdauerentscheidung nicht betrifft - zur Seite. Der Beschuldigte B.
leistete vornehmlich Fahrdienste für den Beschuldigten A. und den Mitbeschuldigten R. bei ihren Aufenthalten in Deutschland. Der Beschuldigte E.
, der unmittelbar mit dem Depot in Bulgarien befasst war, unterstützte die Suche nach dem Waffenlager in Polen im Wesentlichen in beratender Funktion.
Die Bemühungen zur Lokalisierung des konspirativ angelegten polnischen Waffenlagers gestalten sich als schwierig. Der Beschuldigte B.
fuhr am
6. Oktober 2023 gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten R. , der eigens hierfür aus dem Libanon nach Deutschland gereist war, von Be. aus nach Polen,
wo sich beide etwa fünf Stunden aufhielten und ergebnislos nach dem Waffendepot suchten. Am Folgetag begaben sie sich erneut aus Be. dorthin und versuchten etwa sechs Stunden lang, das Waffenlager ausfindig zu machen, was indes erneut nicht gelang. Am nächsten Tag flog der Mitbeschuldigte R.
zurück in den Libanon.
Daraufhin reiste der Beschuldigte A. am 13. Oktober 2023 ein weiteres Mal nach Deutschland und traf sich am nächsten Tag in Be. mit dem Beschuldigten B. . Letzterer begab sich anschließend zum Beschuldigten E.
, von dem er einen gefüllten Rucksack und zwei Taschen erhielt, die er in seinem Pkw verstaute. In diesen befanden sich mutmaßlich vom Beschuldigten E. zur Verfügung gestellte Ausrüstungsgegenstände für eine erneute Suche nach dem Erddepot. Am 15. Oktober 2023 fuhren A. und B.
mit dem Pkw des letzteren nach Polen, wo sie - ausgestattet unter anderem mit Rucksäcken, Schaufeln, Stiefeln und Stöcken - das Waffendepot zu finden versuchten, allerdings wiederum ohne Erfolg. Sie kehrten daher am Nachmittag nach Be. zurück, woraufhin B.
noch am selben Abend erneut den Beschuldigten E.
aufsuchte; mutmaßlich, um diesem Bericht zu erstatten.
A. flog zurück nach Beirut.
Weitere Bemühungen, das Erddepot ausfindig zu machen, mussten abgebrochen werden, weil der Beschuldigte A. zwar am 20. November 2023 erneut von Beirut nach Be. geflogen und dort wieder mit dem Beschuldigten B. in Kontakt getreten war, indes bereits am nächsten Tag unmittelbar nach der Tötung des Al Kharraz in den Libanon zurückkehrte, um an dessen Beerdigung in der herausgehobenen Funktion eines Sargträgers mitzuwirken. B. suchte daraufhin am Abend des 21. November 2023 wieder E. auf; naheliegend, um mit diesem die unvorhergesehenen Ereignisse und das weitere Vorgehen zu erörtern.
Der Beschuldigte A. begab sich am 10. Dezember 2023 abermals nach Deutschland, um die Bemühungen zur Waffenbeschaffung fortzusetzen, und nahm hierzu erneut Kontakt mit dem Beschuldigten B.
auf. Beide erörterten die Beschaffung eines für die Navigation im Gelände geeigneten GPS-Navigationsgeräts und die zukünftige Nutzung von Mietfahrzeugen. Zudem suchte B. nach der Ankunft von A. in Be. erneut den Beschuldigten E.
auf. Während dieses Be. -Aufenthaltes von A. und noch bevor eine erneute Suche nach dem polnischen Waffendepot gestartet worden war, wurden die drei Beschuldigten A. , B.
und E.
am 14. Dezember 2023 im Rahmen eines umfassenden polizeilichen Vorgehens gegen die in die Suche eingebundenen mutmaßlichen HAMAS-Aktivisten verhaftet. Bis dahin war es der Vereinigung nicht gelungen, das Waffendepot zu finden; es ist auch im Ermittlungsverfahren unentdeckt geblieben.
b) Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) beruht auf Folgendem:
aa) Die Erkenntnisse zur Vereinigung HAMAS basieren auf vom Bundeskriminalamt aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragenen Informationen.
bb) Hinsichtlich der gegen die Beschuldigten erhobenen Vorwürfe gilt:
(1) Die hochwahrscheinlichen Annahmen zur mitgliedschaftlichen Einbindung der Beschuldigten in die Vereinigung HAMAS und zu ihren Funktionen innerhalb dieser ergeben sich namentlich aus Hinweisen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die ihrerseits unter anderem auf Informationen eines ausländischen Nachrichtendienstes basieren, auf Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen sowie Erkenntnissen aus einer Fahrzeuginnenraumüberwachung eines vom Beschuldigten B.
benutzten Fahrzeuges.
Zudem sind Aufnahmen festgestellt worden, die den Beschuldigten A. in hervorgehobener Position als Sargträger bei der Beerdigung des hochrangigen HAMAS-Funktionärs Khalil Hamed Al Kharraz zeigen, was deutlich für seine mit- gliedschaftliche Einbindung in die HAMAS und eine gewichtige Rolle in der Vereinigung spricht, zumal Videoaufnahmen der Trauerfeier erkennen lassen, dass er auf dieser HAMAS-Parolen skandierte.
28 Der Beschuldigte B.
berichtete ausweislich der Erkenntnisse aus einer Fahrzeuginnenraumüberwachung eines von ihm genutzten Pkw seiner Mutter in einem Telefonat am 4. Dezember 2023, er sei Mitglied einer Chatgruppe, der „nur Jungs von der HAMAS“ angehörten, womit er naheliegend HA- MAS-Mitglieder gemeint haben dürfte. Mithin war er auch nach eigener Einschätzung Mitglied der Vereinigung. Dazu passt eine Mitteilung dieses Beschuldigten an seine Ehefrau kurz nach der Tötung des Al Kharraz, er habe sich wenige Wochen zuvor mit diesem in der Türkei getroffen. Überdies wurde bei der Auswertung eines Mobiltelefons des Beschuldigten B.
ein Foto aufgefunden, das ihn bekleidet mit einer Kutte zeigt, auf deren Rückenbereich großflächig das Logo der HAMAS angebracht war.
29 Der Beschuldigte E.
bestätigte untermittelbar nach dem Bekanntwerden des Todes des Al Kharraz seinem Bruder in einem - überwachten - Telefonat, der Getötete sei ein Freund beziehungsweise Bekannter von ihm gewesen. Das deckt sich mit einer Mitteilung des Beschuldigten B.
an seine Ehefrau, E.
sei mit Al Kharraz gut befreundet gewesen und habe diesen bei Reisen in den Libanon dort getroffen. Diese Erkenntnisse zu einer engen Verbindung des Beschuldigen E.
zum hochrangigen HAMAS-Funktionär Al Kharraz sprechen für seine mitgliedschaftliche Einbindung in die Vereinigung.
(2) Der dringende Verdacht der vorstehend skizzierten konkreten Betätigungen der Beschuldigten für die HAMAS in Europa folgt zunächst aus Mitteilungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das von einem ausländischen Nachrichtendienst darüber informiert worden war, nach dortigen Erkenntnissen habe die HAMAS ein Waffendepot im Südosten Polens angelegt und versuche nunmehr, dieses ausfindig zu machen und die dort gelagerten Waffen für einen Anschlag in Deutschland dorthin zu verbringen.
Bestandteil dieser nachrichtendienstlichen Information war auch die Reise des Beschuldigten B.
und des Mitbeschuldigten R. zur Suche nach dem Depot in Polen im Oktober 2023. Diese konkreten nachrichtendienstlichen Hinweise haben durch Ermittlungen des Bundeskriminalamts zu Reisebewegungen der beiden Bestätigung gefunden.
Auf Ermittlungserkenntnissen des Bundeskriminalamts beruhen auch die hochwahrscheinlichen Annahmen zur Reise des Beschuldigten A. nach Deutschland im Oktober 2023 und der gemeinsamen Fahrt mit dem Beschuldigten B.
nach Polen zur Fortsetzung der Suche nach dem Waffendepot.
Unter anderem werden die Annahmen zu dieser Fahrt der beiden nach Polen und der vorherigen Zurverfügungstellung von Utensilien für die Suche durch den Beschuldigten E.
gestützt durch eine polizeiliche Observation des Beschuldigten B.
und erhobene Verkehrsdaten von Mobiltelefonen der Beschuldigten A. und B. . Zudem wurde das von A. und B.
bei dieser Fahrt nach Polen genutzte Fahrzeug bei der Wiedereinreise in die Bundesrepublik einer gezielten grenzpolizeilichen Kontrolle durch die Bundespolizei unterzogen, wobei die erwähnten Ausrüstungsgegenstände aufgefunden wurden und festgestellt wurde, dass die von beiden Beschuldigten getragenen Kleidungsstücke Erdanhaftungen aufwiesen, wie sie unschwer bei der Suche nach einem Erddepot entstanden sein können.
Gestützt wird der dringende Tatverdacht ferner durch beim Beschuldigten E. aufgefundene Fotografien, die das in Bulgarien befindliche Erddepot der HAMAS - das kurz nach der Verhaftung der Beschuldigten von dortigen Ermittlungsbehörden hat ausgehoben werden können - mit verschiedenen Waffen zeigen. Dieser Fund stützt nicht nur den dringenden Tatverdacht der Suche nach einem weiteren Depot in Polen, sondern auch die hochwahrscheinlichen Annahmen einer Mitgliedschaft des Beschuldigten E.
in der Vereinigung HA- MAS und seiner engen Einbindung in die vorstehend skizzierten Aktivitäten. Das gilt auch deshalb, weil weitere Ermittlungserkenntnisse dahin vorliegen, dass der Beschuldigte E.
Mitte August 2023 von Be. aus nach Bulgarien reiste und das dortige Waffendepot inspizierte.
Die Annahme, dass jedenfalls der Beschuldigte A. darin involviert war, mögliche Anschlagsziele der HAMAS in Deutschland auszukundschaften, stützt sich auf die Auswertung eines in seinem Rucksack anlässlich seiner Verhaftung sichergestellten USB-Sticks. Auf diesem hat sich ein Programm zum Herunterladen und der Bearbeitung hochauflösender Satellitenbilder befunden. Eine Auswertung des gespeicherten Nutzungsverlaufs des Programms hat ergeben, dass mit diesem im November 2023 gezielt verschiedene Örtlichkeiten in Deutschland, darunter die israelische Botschaft in Berlin und die US-Luftwaffenbasis in Ramstein, ausgekundschaftet und Detailaufnahmen dieser beiden Örtlichkeiten abgespeichert wurden.
cc) Ergänzend nimmt der Senat Bezug auf die Darlegungen zur Begründung des dringenden Tatverdachts in den angefochtenen Haftbefehlen sowie die Ausführungen in den Haftbefehlsanträgen des Generalbundesanwalts und in den dort bezeichneten Anlagen zu diesen.
2. In rechtlicher Hinsicht ist entsprechend der Würdigung der Haftbefehle gegenwärtig die dringende Annahme einer Strafbarkeit der Beschuldigten jeweils wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB begründet.
a) Bei der HAMAS handelt es sich hochwahrscheinlich um eine terroristische Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB.
aa) Eine Vereinigung ist nach § 129 Abs. 2 StGB ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses (vgl. dazu BT-Drucks. 18/11275 S. 11). Danach müssen ein organisatorisches, ein personelles, ein zeitliches und ein interessenbezogenes Element gegeben sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 19 ff.; s. ferner BGH, Urteil vom 12. September 2023 - 3 StR 306/22, MMR 2024, 175 Rn. 39 mwN; Beschlüsse vom 2. Juni 2021 - 3 StR 61/21, BGHR StGB § 129 Abs. 2 Vereinigung 2 Rn. 8). Notwendig ist insbesondere das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 20). Dieses muss über die bezweckte Begehung der konkreten Straftaten und ein Handeln um eines persönlichen materiellen Vorteils willen hinausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2023 - 3 StR 306/22, MMR 2024, 175 Rn. 41; Beschluss vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, juris Rn. 11; Urteil vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21, BGHSt 66, 137 Rn. 21 ff.).
Die HAMAS erfüllt diese Merkmale des Vereinigungsbegriffs des § 129 Abs. 2 StGB. Sie verfügt über eine ausgeprägte Organisationsstruktur (organisatorisches Element), ist auf Dauer angelegt (zeitliches Element), hat eine große Zahl von Mitgliedern (personelles Element) und verfolgt das übergeordnete gemeinsame Interesse einer Vernichtung des Staates Israel und der Schaffung eines islamistisch geprägten eigenen Staatswesens in der Levante (interessenbezogenes Element).
bb) Bei dem Personenzusammenschluss handelt es sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand um eine Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, mithin um eine terroristische im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Eine Vereinigung ist auf die Begehung von Straftaten gerichtet, sofern sie auf strafbares Handeln durch Vereinigungsmitglieder hin konzipiert ist, also der übereinstimmende Wille der Mitglieder und der verbindlich festgelegte Zweck der Vereinigung dahingehen, gemeinschaftlich Straftaten zu verüben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2023 - AK 35/23, juris Rn. 33; vom 30. März 2023 - StB 58/22, NStZ-RR 2023, 182, 183). Das bloße Bewusstsein, dass es in Verfolgung der Vereinigungsziele zur Begehung von Straftaten kommen könnte, genügt nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2023 - AK 35/23, juris Rn. 33; Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166 Rn. 30). Die Begehung von Straftaten braucht aber nicht das Endziel oder der Hauptzweck der Vereinigung zu sein (LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 65; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 48).
Diese Voraussetzungen sind bei der HAMAS hochwahrscheinlich erfüllt. Denn zur Erreichung ihrer politischen Ziele bedient sie sich seit jeher militanter Mittel, darunter auf Straftaten im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB abzielende Anschläge namentlich gegen Israel und israelische Staatsangehörige. Dieses gewaltsame Vorgehen, das zentraler Bestandteil der Agenda der Vereinigung ist, manifestierte sich insbesondere in dem gewaltsamen Eindringen von Kämpfern der HAMAS nach Israel und der dortigen Tötung von weit mehr als eintausend Israelis am 7. Oktober 2023 und den Folgetagen.
cc) Da die Vereinigung ihren organisatorischen und agitatorischen Schwerpunkt im Gazastreifen hat und insbesondere von dort und vom Libanon aus maßgeblich in ihrem Bestand, ihrer Struktur, Ausrichtung und Zielsetzung geprägt und gesteuert wird, handelt es sich um eine ausländische Vereinigung im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB (vgl. zur Abgrenzung zwischen inländischer und ausländischer Vereinigung BGH, Beschluss vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, BGHR StGB § 129b Vereinigung 3 Rn. 19 mwN).
b) Die Beschuldigten haben sich mit hoher Wahrscheinlichkeit jeweils als Mitglied der Vereinigung HAMAS an dieser beteiligt.
aa) Die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1 StGB setzt eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Dafür reicht allein eine Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch besonders intensiv sein, nicht aus; denn ein Außenstehender wird nicht allein durch eine Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied. Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die einer Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ein auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom
23. Januar 2024 - AK 108/23, NStZ-RR 2024, 111, 112; vom 18. Oktober 2022 - AK 33/22, juris Rn. 33; vom 21. April 2022 - AK 18/22, juris Rn. 5).
Eine relevante Beteiligungshandlung des Mitglieds kann darin bestehen, unmittelbar zur Durchsetzung der Ziele der Vereinigung beizutragen; sie kann auch darauf gerichtet sein, lediglich die Grundlagen für die Aktivitäten der Vereinigung zu schaffen oder zu erhalten. Ausreichend ist deshalb die Förderung von Aufbau, Zusammenhalt oder Tätigkeit der Organisation. In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Verhalten von entsprechendem Gewicht. In Abgrenzung hierzu fehlt es in Fällen einer bloß formalen oder passiven, für das Wirken der Vereinigung bedeutungslosen Mitgliedschaft grundsätzlich an einem aktiven mitgliedschaftlichen Beteiligungsakt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2024 - AK 108/23, NStZ-RR 2024, 111, 112; vom 15. Mai 2019 - AK 22/19, BGHR StGB § 129a Abs. 1 Mitgliedschaft 5 Rn. 24 mwN).
bb) Hieran gemessen waren die Beschuldigten hochwahrscheinlich jeweils Mitglieder der Vereinigung und wurden als solche - und nicht lediglich als deren Unterstützer - für diese tätig. Das gilt ungeachtet ihres Wohnsitzes in Deutschland sowie ihrer Tätigkeit für die HAMAS in der Bundesrepublik und nicht in deren Hauptagitationsgebiet in der Levante auch für die Beschuldigten B.
und E.
.
Denn nach den bisherigen Ermittlungserkenntnissen standen alle drei Beschuldigten in engem - auch persönlichem - Kontakt mit dem hochrangigen HA- MAS-Funktionär Al Kharraz. So traf der Beschuldigte B.
im September Al Kharraz in der Türkei; mutmaßlich, um mit diesem seine weitere Betätigung für die HAMAS in Europa zu erörtern. Ausweislich nachrichtendienstlicher Erkenntnisse wurden alle Beschuldigten von der HAMAS als „Auslandsoperateure“ der Vereinigung geführt.
Die geschilderten mutmaßlichen Mitwirkungsakte der Beschuldigten, von denen im Sinne eines dringenden Tatverdachts auszugehen ist, stellen Beteiligungshandlungen im Sinne des § 129a Abs. 1 StGB dar. Unerheblich ist, dass sie, namentlich die Beteiligung an der Suche nach dem Waffendepot, für sich genommen keine strafbaren Handlungen waren. Denn für eine Strafbarkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung ist eine isolierte Strafbarkeit der jeweiligen Beteiligungshandlungen nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2024 - AK 100-106/23, juris Rn. 39; vom 21. September 2023 - StB 56/23, juris Rn. 32; LK/Krauß, StGB, 13. Aufl., § 129 Rn. 100; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 86 ff.).
c) Das mutmaßliche Tathandeln der Beschuldigten unterfällt der deutschen Strafgewalt nach dem Territorialitätsprinzip; denn sie wurden, soweit es das vorliegend relevante Geschehen anbelangt, vornehmlich in Deutschland tätig (§ 3 StGB). Deshalb sind auch die strafbarkeitsbegründenden Voraussetzungen des § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllt.
3. Die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung hat das Bundesministerium der Justiz am 29. April 2004 erteilt (Az.: II B 1 zu 4030 E 172 - 2 G 30/2004) und am 11. Oktober 2023 erneuert (Az.: II B 1 zu 428030 00002 0973). Diese weit gefasste Ermächtigung erstreckt sich auf die strafrechtliche „Verfolgung von bereits begangenen und künftigen Taten im Zusammenhang mit der ausländischen terroristischen Vereinigung HAMAS“.
4. Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts für die Strafverfolgung und damit die des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass der Haftbefehle folgt aus § 142a Abs. 1 i.V.m. § 120 Abs. 1 Nr. 6 GVG.
5. Es besteht bei allen drei Beschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Es ist gesamtwürdigend wahrscheinlicher, dass sie sich - sollten sie auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass sie sich ihm stellen werden.
Denn die Beschuldigten haben angesichts ihrer Funktion als „Auslandsoperateure“ der HAMAS und ihrer intensiven Tätigkeit für die Vereinigung mit längeren, nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen zu rechnen. Dem von der hohen Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Insofern gilt, dass die Annahme von Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen erfordert; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. September 2022 - AK 27/22, juris Rn. 36; vom 5. Oktober 2018 - StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37).
Der Beschuldigte A. lebte vor seiner Verhaftung nicht in Deutschland, sondern reiste wiederholt für jeweils wenige Tage in die Bundesrepublik, um hier für die HAMAS tätig zu werden. Er hat seinen offiziellen Wohnsitz in Italien, hielt sich in letzter Zeit aber auch im Libanon auf. Er verfügt über enge und umfangreiche Kontakte zu anderen HAMAS-Angehörigen im Ausland, darunter in der Türkei, und hat in der jüngsten Vergangenheit, wie seine vielfältige Reisetätigkeiten zeigen, ein außerordentlich mobiles Verhalten gezeigt.
56 Der Beschuldigte B.
lebte zwar vor seiner Verhaftung mit seiner Ehefrau und zwei gemeinsamen minderjährigen Kindern in Deutschland, ist hier allerdings nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht beruflich oder sozial verankert. Er verfügt über enge und umfangreiche Kontakte zu anderen HAMAS-Angehörigen im Ausland und hat in der Vergangenheit Auslandsreisen, darunter zu Treffen mit hohen HAMAS-Funktionären, unternommen. Ferner hat er, wie sich aus einer Telekommunikationsüberwachung ergibt, angekündigt, in den Libanon zurückkehren zu wollen. Da er ägyptischer Staatsangehöriger ist, hat er überdies wahrscheinlich die Möglichkeit, sich dorthin zu begeben.
57 Der Beschuldigte E.
war zwar vor seiner Verhaftung in der Bundesrepublik - unter anderem durch den Betrieb eines eigenen Restaurants in Be.
- verankert. Dieser Umstand hat allerdings kein hinreichendes Gewicht, um Fluchtgefahr verneinen zu können. Denn auch dieser Beschuldigte war in der Vergangenheit wiederholt im Ausland, namentlich im Libanon, und zwar mutmaß- lich in seiner Rolle als HAMAS-Funktionär.
Zudem liegt - bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. April 2022 - StB 15/22, juris Rn. 11 f.; vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) - bei allen drei Beschuldigten der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO - die bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO möglich sind - erreicht werden.
6. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
Die Ermittlungen waren und sind besonders umfangreich; die Akten umfassen derzeit etwa 100 Bände. Die Komplexität des Verfahrens resultiert nicht nur aus dem konspirativen Agieren der Beschuldigten, sondern auch aus den vielfachen Auslandsbezügen. Der Generalbundesanwalt hat im Rahmen Europäischer Ermittlungsanordnungen und Rechtshilfeersuchen um Ermittlungen in Polen, Bulgarien und den Niederlanden ersucht, deren Ergebnisse zwar mittlerweile überwiegend vorliegen, indes gegenwärtig mit hohem Aufwand ausgewertet werden müssen. Nach den Verhaftungen der Beschuldigten sind sechs weitere Durchsuchungsmaßnahmen vorgenommen worden, zuletzt am 1. Mai 2024, bei denen potentielle Beweismittel sichergestellt worden sind. Insgesamt sind bislang 361 Gegenstände zum Verfahren gelangt, darunter über 200 mobile Datenträger mit einem Datenvolumen von etwa elf Terabyte, die unter anderem Chatund Sprachnachrichten beinhalten, welche einer intensiven Auswertung bedürfen. Diese ist auch deshalb aufwendig, weil die Beschuldigten überwiegend in arabischer Sprache miteinander kommunizierten und daher in großem Umfang Übersetzungen erforderlich sind. Allein auf einem sichergestellten Mobiltelefon des Beschuldigten A. waren 510.000 digitale Fotos, 13.000 Audiodaten, 12.000 Videos und über 5.000 Chatverläufe mit 147.000 Nachrichten abgespeichert.
Es ist zu erwarten, dass das Verfahren auch in Zukunft dem besonderen Beschleunigungsgebot in Haftsachen entsprechend betrieben wird. Der Generalbundesanwalt hat angekündigt, noch im Juni 2024 mit der Erstellung der Anklageschrift zu beginnen und binnen eines Quartals Anklage gegen die Beschuldigten zu erheben.
7. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsin- teresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Schäfer Paul Kreicker