IX ZB 60/21
BUNDESGERICHTSHOF IX ZB 60/21 BESCHLUSS vom
28. Februar 2024 in dem Verfahren auf Versagung der Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Titels Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja ZPO § 1115; RVG § 25 Abs. 2; Brüssel Ia-VO Art. 45, 46 Der Wert der anwaltlichen Tätigkeit für einen Antrag des Schuldners, die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung zu versagen, ist unter Berücksichtigung des Interesses des Antragstellers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Er ist in der Regel auf den Wert der titulierten Forderung festzusetzen. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2024 - IX ZB 60/21 - KG LG Berlin hier: Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ECLI:DE:BGH:2024:280224BIXZB60.21.0 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, den Richter Röhl, die Richterin Dr. Selbmann und die Richter Dr. Harms und Weinland am 28. Februar 2024 beschlossen:
Der Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Rechtsbeschwerdeverfahren im Beschluss des Senats vom 12. Oktober 2023 wird keine Folge gegeben.
Gründe:
I. 1 Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers begehrt die Heraufsetzung des vom Senat mit Beschluss vom 12. Oktober 2023 festgesetzten Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit. 2 Das Verfahren betrifft die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung eines Beschlusses eines lettischen Gerichts. Der Senat hat den Beschluss des Kammergerichts, mit welchem die Beschwerde des Antragstellers gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Versagung der Vollstreckung eines zugunsten der Antragsgegnerin ergangenen einstweiligen Titels des Bezirksgerichts in Riga vom 21. September 2020 zurückgewiesen worden war, auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2023 gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 12. Oktober 2023 Gegenvorstellung erhoben und beantragt, den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 30 Mio. € festzusetzen. Die Einzelrichterin hat die Sache gemäß § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG auf den Senat übertragen.
II.
Die Gegenvorstellung gibt keinen Anlass zur Heraufsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Rechtsbeschwerdeverfahren.
1. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist nach § 33 Abs. 1 RVG auf Antrag festzusetzen, wenn es - wie hier - an einem Gegenstandswert für die Gerichtsgebühren fehlt, weil in dem gerichtlichen Verfahren Festgebühren erhoben werden.
2. Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit für einen Antrag des Schuldners nach § 1115 ZPO in Verbindung mit Art. 45 Abs. 4 und Art. 47 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU 2012 L 351 S. 1; Brüssel Ia-Verordnung), die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu versagen, richtet sich nach § 25 Abs. 2 RVG. Dabei ist das Interesse des Schuldners nach billigem Ermessen in der Regel nach dem Wert der titulierten Forderung zu bestimmen.
a) Unter Geltung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001 L 12 S. 1; Brüssel I-Verordnung) bestimmte sich der Wert eines auf einen Antrag nach §§ 4 ff AVAG eingeleiteten Verfahrens über die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung gemäß Art. 38 ff Brüssel I-Verordnung regelmäßig nach dem Wert der titulierten Forderung. Antragsteller in dem Verfahren über die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung war der Gläubiger der titulierten Forderung. Sein Interesse galt der Durchsetzung der gesamten titulierten Forderung im entsprechenden Mitgliedsstaat.
b) Für den Antrag des Schuldners auf Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung nach § 1115 ZPO in Verbindung mit Art. 45, 46 Brüssel Ia-Verordnung ist Ausgangspunkt der Wertfestsetzung ebenfalls der Wert der titulierten Forderung. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Antragsteller in dem Verfahren über die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung unter Geltung der Brüssel Ia-Verordnung der Schuldner des Vollstreckungstitels ist, so dass maßgeblich auf sein Interesse abzustellen ist.
aa) Nach § 25 Abs. 2 RVG, der die Wertfestsetzung in Verfahren über Anträge des Schuldners in der Zwangsvollstreckung und bei der Vollziehung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung bestimmt, ist der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit nach dem Interesse des Antragstellers nach billigem Ermessen zu bestimmen (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., § 25 Rn. 45; Toussaint/Toussaint, RVG, 53. Aufl., § 25 Rn. 26 f; Mayer/Kroiß/ Gierl, RVG, 8. Aufl., § 25 Rn. 26). Da Antragsteller in dem Verfahren auf Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung der Schuldner der titulierten Forderung ist, richtet sich der Wert nach dem Umfang des erstrebten Ausschlusses der Zwangsvollstreckung aus dem ausländischen Titel in Deutschland.
Regelmäßig wird sich das Interesse des Schuldners auf den Ausschluss der Zwangsvollstreckung hinsichtlich der gesamten titulierten Forderung beziehen, so dass der Gegenstandswert in entsprechender Höhe festgesetzt werden kann. Eine hiervon abweichende, niedrigere Wertfestsetzung kann aber im Ausnahmefall geboten sein, etwa in den Fällen, in denen es lediglich um die Abwehr einstweiliger Maßnahmen geht oder wenn eine titulierte Forderung aufgrund ihrer Höhe nicht ernstlich durchsetzbar erscheint.
bb) Dies gilt auch im Rechtsmittelverfahren über den Antrag des Schuldners nach § 1115 ZPO in Verbindung mit Art. 45, 46 Brüssel Ia-Verordnung. Insoweit ist nach der allgemeinen Wertvorschrift in § 23 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 RVG der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ebenfalls nach dem Interesse des Antragstellers nach billigem Ermessen zu bestimmen.
cc) Nach nochmaliger Prüfung erachtet der Senat wegen der Besonderheiten des Streitfalls die Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit auf ein Zehntel der geltend gemachten Hauptforderung weiterhin als angemessen.
(1) Eine Festsetzung auf den vollen Betrag der Hauptsacheforderung kommt nicht in Betracht.
Mit Beschluss vom 21. September 2020 hatte das Bezirksgericht in Riga dem Antrag der im dortigen Verfahren antragstellenden lettischen Bank auf Anordnung von Sicherungsmaßnahmen wegen einer Forderung von rund 31,5 Mio. € stattgegeben und die Eintragung einer Vormerkung über ein Pfandrecht auf ein im Eigentum des Antragstellers stehendes Grundstück im Grundbuch, die Eintragung eines Vermerks über das Verbot der Verfügung über die Gesellschaftsanteile des Antragstellers in das jeweilige Unternehmensregister und die Beschlagnahme von Zahlungen, die dem Antragsteller von Dritten zustehen, angeordnet. In Deutschland wurden daraufhin Pfändungen hinsichtlich der Pensionsansprüche und von Gesellschaftsanteilen des Antragstellers vorgenommen und eine Sicherungshypothek in das Grundbuch für das Grundstück des Antragstellers eingetragen.
Entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Antragsteller mit seinem Antrag nach § 1115 ZPO die endgültige Beseitigung der Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels in Deutschland erreichen will. Maßgeblich ist vielmehr, welchen Umfang und welche Auswirkungen die Vollstreckungsmaßnahmen haben, gegen die sich der Antragsteller zur Wehr setzt.
Bei der Wertfestsetzung berücksichtigt der Senat zum einen, dass der streitgegenständliche ausländische Titel nicht auf eine endgültige Befriedigung der lettischen Bank gerichtet ist, sondern lediglich eine einstweilige Sicherungsmaßnahme im Sinne einer Arrestierung von Vermögen des Antragstellers in Deutschland anordnet und als Eilmaßnahme damit nur vorläufigen Charakter hat. Zum anderen kommt es maßgeblich auf das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der Abwehr des Vollstreckungstitels an, wobei seine konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen ist. Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommen und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt. Der Bundesgerichtshof hat für die Abwehr eines dinglichen Arrests nach § 111b Abs. 2, Abs. 5 StPO aF entschieden, dass das Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weitergehen kann, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2018 - III ZR 191/17, AGS 2018, 558, 560). Der Antragsteller hat vorgetragen, dass von den seit Ende des Jahres 2020 laufenden Vollstreckungsmaßnahmen seine Pensionsansprüche in Höhe von 57.000 € jährlich betroffen sind. Nach den Feststellungen der Instanzgerichte wurden zudem Ansprüche des Antragstellers aus Gesellschaftsanteilen gepfändet und eine Sicherungshypothek in das Grundbuch für das Grundstück des Antragstellers eingetragen.
(2) Eine Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit auf einen Bruchteil von 1/5 bis 1/2 der Hauptsacheforderung, wie dies in der Rechtsprechung verbreitet für Vollstreckungsschutzanträge des Schuldners angenommen wird (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., § 25 Rn. 46; Toussaint/ Toussaint, RVG, 53. Aufl., § 25 Rn. 26; Riedel/Sußbauer/Potthoff, RVG, 10. Aufl., § 25 Rn. 30; Mayer/Kroiß/Gierl, RVG, 8. Aufl., § 25 Rn. 27 f), kommt nicht in Betracht. Vorliegend geht es um die endgültige Abwehr der Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund von einstweiligen Sicherungsanordnungen in dem ausländischen Titel und nicht wie im Fall von Vollstreckungsschutzanträgen um den zeitweiligen Aufschub der Vollstreckung einer titulierten Forderung.
(3) Eine Herabsetzung des Gegenstandswerts auf 57.000 € entsprechend der Anregung des Antragstellers scheidet ebenfalls aus. Auf den einfachen Jahresbetrag der Pensionsansprüche des Antragstellers kann schon deshalb nicht abgestellt werden, weil nicht nur die Pensionsansprüche eines Jahres gepfändet wurden, sondern noch weitere, länger andauernde Pfändungen und Sicherungsmaßnahmen vorgenommen worden sind und werden.
III.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet, § 33 Abs. 9 Satz 1 und 2 RVG.
Schoppmeyer Harms Röhl Weinland Selbmann Vorinstanzen: LG Berlin, Entscheidung vom 04.05.2021 - 51 O 136/20 KG Berlin, Entscheidung vom 10.12.2021 - 14 W 27/21 -