VIa ZR 586/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 586/22 URTEIL in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:240724UVIAZR586.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 1. Juli 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 31. März 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu I und II sowie den Berufungsantrag zu III - ohne die Freistellung von Zinsen auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin erwarb im April 2015 einen neuen VW Tiguan 2.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet. Fahrzeug und Motor sind von der Beklagten hergestellt worden.
Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher die Klägerin die Zahlung von 30.595,82 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu II) und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zuzüglich Zinsen (Berufungsantrag zu III) beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu III begehrten Freistellung von Zinsen weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB wegen der im Grundsatz unstreitigen Implementierung eines sogenannten Thermofensters und einer Fahrkurve in die Motorsteuerung des klägerischen Fahrzeugs bestehe nicht, auch wenn es sich insoweit um unzulässige Abschalteinrichtungen handeln sollte. Aus dem Vortrag der Klägerin ließen sich keine greifbaren Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten auf Seiten der Beklagten gewinnen.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Das Berufungsgericht hat es jedoch rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Danach besteht aus dieser Anspruchsgrundlage zwar kein Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 22 bis 27). Doch kann ihr nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
III.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang des Rechtsmittelangriffs zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Wille Liepin Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 03.12.2021 - 2 O 2846/21 OLG München, Entscheidung vom 31.03.2022 - 1 U 85/22 - Krüger Verkündet am 24. Juli 2024 Heger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle