VII ZR 199/22
BUNDESGERICHTSHOF VII ZR 199/22 BESCHLUSS Nachschlagewerk: ja BGHZ:
nein BGHR:
ja JNEU:
ja vom 24. Oktober 2024 in dem Rechtsstreit Verkündet am: 24. Oktober 2024 Kilian, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (EuGVVO) Art. 2 Buchstabe a), Art. 25, 31 Abs. 2, Art. 36 Abs. 1 Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a) AEUV folgende Fragen vorgelegt: 1. Ist der Begriff der Entscheidung in Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 ECLI:DE:BGH:2024:241024BVIIZR199.22.0 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) dahin auszulegen, dass das gemäß einer Vereinbarung nach Art. 25 EuGVVO ausschließlich zuständige Gericht (Art. 31 Abs. 2 EuGVVO) eine Entscheidung anzuerkennen hat, mit der ein nicht vereinbartes Gericht eines Mitgliedstaats die internationale Zuständigkeit der Gerichte jenes Mitgliedstaats feststellt, wenn es sich um eine die Instanz nicht abschließende Entscheidung (Zwischenentscheidung) handelt?
2. Sofern Frage 1 grundsätzlich bejaht wird:
Kommt es für die Anerkennung der Zwischenentscheidung zusätzlich darauf an, ob die eine eigene internationale Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats bejahende Zwischenentscheidung das nicht vereinbarte Gericht selbst bindet und/oder ob die Bejahung der internationalen Zuständigkeit im Rahmen eines Rechtsmittels abgeändert werden kann?
BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2024 - VII ZR 199/22 - OLG Köln LG Köln Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Oktober 2024 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, die Richter Halfmeier und Prof. Dr. Jurgeleit sowie die Richterinnen Graßnack und Borris beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a) AEUV folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist der Begriff der Entscheidung in Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) dahin auszulegen, dass das gemäß einer Vereinbarung nach Art. 25 EuGVVO ausschließlich zuständige Gericht (Art. 31 Abs. 2 EuGVVO) eine Entscheidung anzuerkennen hat, mit der ein nicht vereinbartes Gericht eines Mitgliedstaats die internationale Zuständigkeit der Gerichte jenes Mitgliedstaats feststellt, wenn es sich um eine die Instanz nicht abschließende Entscheidung (Zwischenentscheidung) handelt?
2. Sofern Frage 1 grundsätzlich bejaht wird:
Kommt es für die Anerkennung der Zwischenentscheidung zusätzlich darauf an, ob die eine eigene internationale Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats bejahende Zwischenentscheidung das nicht vereinbarte Gericht selbst bindet und/oder ob die Bejahung der internationalen Zuständigkeit im Rahmen eines Rechtsmittels abgeändert werden kann?
Gründe:
I.
Die Klägerin, eine in Deutschland ansässige GmbH deutschen Rechts, und die Beklagte, eine in Spanien ansässige S.A. spanischen Rechts, sind zwei auf die Errichtung von Kraftwerksanlagen spezialisierte Unternehmen. Die Klägerin wurde von einer spanischen Gesellschaft mit dem schlüsselfertigen Bau einer Abfallbehandlungsanlage in San Sebastián, Spanien, beauftragt.
Die Klägerin schloss mit der Beklagten am 18. September 2017 einen Vertrag, in dem sich die Beklagte gegen eine Vergütung verpflichtete, zwei VerbrennungskesseI der Abfallbehandlungsanlage zu montieren. Als Gerichtsstand wurde Köln vereinbart. Die Beklagte stellte zugunsten der Klägerin entsprechend einer vertraglichen Vereinbarung zur Absicherung der Vertragserfüllung eine Bankgarantie auf erstes Anfordern in Höhe von 10 Prozent der Vergütung.
Es kam in der Folgezeit zu Verzögerungen der Arbeiten. Am 8. August 2018 schlossen die Parteien bei einem Treffen in Deutschland eine Änderungsvereinbarung, wonach die Beklagte einen Teil der Leistung nicht mehr durchführen sollte und die Vergütung reduziert wurde.
Mit Schreiben vom 18. Februar 2019 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Mehrkosten im Hinblick auf die ursprünglich von der Beklagten geschuldeten Leistungen geltend und forderte sie zur Zahlung eines näher erläuterten Rechnungsbetrags auf. Nachdem die Beklagte in ihrer Korrespondenz mehrfach erklärt hatte, keine Grundlage für die gestellten Forderungen zu sehen, griff die Klägerin schließlich am 28. März 2019 auf die Bankgarantie zurück. Die Bank zahlte die Garantiesumme in voller Höhe an die Klägerin aus.
In Reaktion auf die Inanspruchnahme der Garantie hat die hiesige Beklagte am 30. Juli 2019 bei dem Juzgado de primera instancia de Madrid Klage gegen die hiesige Klägerin eingereicht. Neben Schadensersatzansprüchen gegen die Klägerin fordert die Beklagte dort Zahlung in Höhe der Garantiesumme an sich, nachdem sie ihrerseits der Bank die an die Klägerin gezahlte Garantiesumme erstattet hatte. Ihre Forderung begründet sie unter anderem damit, dass vermeintliche Schadensersatzansprüche der Klägerin nicht bestünden.
Am 8. August 2019 hat die Klägerin die vorliegende Klage am Landgericht Köln eingereicht, mit welcher sie die Feststellung begehrt hat, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr sämtliche Mehrkosten und/oder Schäden zu ersetzen, die daraus entstanden sind, dass die Beklagte die gemäß Vertrag vom 18. September 2017 ursprünglich geschuldete Teilleistung nach Abschluss der Vereinbarung vom 8. August 2018 nicht mehr erbracht hat.
Das Juzgado de primera instancia de Madrid hat mit Beschluss vom 16. Juni 2020 seine örtliche Zuständigkeit verneint und den Fall an das Gericht erster Instanz in San Sebastián verwiesen. Zur Begründung hat es festgehalten, dass die Gerichtsstandsvereinbarung in der Bankgarantie nicht maßgeblich sei, weil sie nicht das Verhältnis zwischen den Parteien betreffe; mit der Gerichtsstandsvereinbarung aus dem Vertrag vom 18. September 2017 zwischen der Klägerin und der Beklagten hat sich das Juzgado de primera instancia de Madrid nicht auseinandergesetzt. Es seien nach § 22-5 des spanischen Gerichtsverfassungsgesetzes die spanischen Gerichte zuständig, um über das Verfahren zu entscheiden. Das Gericht in San Sebastián sei gemäß Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) als Gericht des Erfüllungsorts zuständig. Gegen die Entscheidung des Juzgado de primera instancia de Madrid hat sich die Klägerin nicht gewandt. Das Gericht in San Sebastián hat die dort von der hiesigen Klägerin beantragte erneute Prüfung der internationalen Zuständigkeit mit Beschluss vom 9. September 2020 unter Verweis auf den Beschluss des Juzgado de primera instancia de Madrid abgelehnt. Mit Beschluss vom 9. Dezember 2020 hat das Gericht in San Sebastián auf ein Rechtsmittel der hiesigen Klägerin seine Entscheidung bestätigt.
Am 11. Mai 2021 hat das Landgericht Köln die Klage als unzulässig abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass zwar die Zuständigkeit des Landgerichts Köln wegen der Gerichtsstandsvereinbarung in dem Vertrag vom 18. September 2017 grundsätzlich Vorrang genieße und die spanischen Gerichte den dortigen Rechtsstreit, der "denselben Anspruch" betreffe, nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO hätten aussetzen müssen. Die unter Missachtung der Aussetzungspflicht ergangene positive Feststellung eigener Zuständigkeit sei aber gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVVO anzuerkennen und führe mangels internationaler Zuständigkeit zur Klageabweisung.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung beim Oberlandesgericht Köln hat die Klägerin ihre Anträge teilweise geändert. Neben der erstinstanzlich erstrebten Feststellung begehrt sie zusätzlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung. Dabei hat sie von dem verlangten Betrag unter Verweis auf eine ihr in Spanien möglicherweise drohende Verurteilung zur Erstattung der Garantiesumme die erhaltene Zahlung aus der Bankgarantie nicht abgezogen. Das Berufungsgericht hat das landgerichtliche Urteil aufgehoben, im Wege des Zwischenurteils die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Köln festgestellt und die Sache im Übrigen dorthin zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Klägerin weiter.
II.
Vor der Entscheidung über die Revision ist das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a), Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung der Art. 2 Buchstabe a), Art. 31 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 1 EuGVVO ab.
1. Betreffend die Frage der internationalen Zuständigkeit hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Die Zuständigkeit deutscher Gerichte sei auf Grund wirksamer Prorogationsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 EuGVVO eröffnet. Diese Zuständigkeit sei auch nicht durch die Entscheidungen der erstinstanzlichen Gerichte in Madrid und San Sebastián ausgeschlossen. Eine Bindungswirkung ergebe sich insbesondere nicht aus Art. 36 Abs. 1 EuGVVO. Weder bei dem Beschluss aus Madrid noch bei den Beschlüssen aus San Sebastián handele es sich um Entscheidungen im Sinne von Art. 2 Buchstabe a), Art. 36 EuGVVO, die in der Weise anzuerkennen wären, dass damit für andere Verfahren verbindlich feststehe, dass die internationale Zuständigkeit anderer als der spanischen Gerichte ausscheide.
Zwar habe sich das erstinstanzliche Gericht in Madrid ausdrücklich mit der internationalen Zuständigkeit befasst und diese für den dortigen Rechtsstreit bejaht; hierin liege jedoch keine Entscheidung mit Außenwirkung. Es handele sich um eine rein innerverfahrensrechtliche Entscheidung, welche die abschließende Entscheidung über die Klage nur vorbereite. Damit betreffe die Entscheidung des Gerichts in Madrid nicht die internationale Zuständigkeit selbst, sondern nur die Möglichkeit, die vom Gericht angenommene Zuständigkeit vor der Endentscheidung und der Einlassung zur Sache in einem gesonderten Zwischenverfahren geltend zu machen. Die in den Gründen des entsprechenden Beschlusses enthaltene Bejahung der internationalen Zuständigkeit greife daher nicht über die gegenwärtige Prozesslage hinaus.
Anderes folge insbesondere nicht aus der sogenannten Gothaer-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom
15. November 2012 - C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719). Zwar habe der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass abweisende Prozessurteile beachtliche und anzuerkennende Entscheidungen seien. Hier stehe aber eine Zwischenentscheidung in Rede, mit der noch nichts darüber ausgesagt sei, ob die spanischen Gerichte sich im Instanzenzug nicht letzten Endes doch noch für unzuständig erklärten oder umgekehrt eine Sachentscheidung träfen.
Die Entscheidungen des Gerichts in San Sebastián stellten ersichtlich keine Entscheidung im Sinne der EuGVVO dar; sie wiesen schon keinen eigenen Regelungscharakter auf.
Das vorliegende Verfahren sei auch nicht auszusetzen. Unterstelle man, dass die Verfahren in Spanien und Deutschland "denselben Anspruch" beträfen, - was allerdings zweifelhaft sei - so wäre das spanische Gericht seiner Aussetzungspflicht nach Art. 31 Abs. 2 EuGVVO nicht nachgekommen. Die Missachtung der Aussetzungspflicht dort hindere aber nicht die Fortführung des Verfahrens hier. Das kraft Vereinbarung ausschließlich zuständige Zweitgericht habe das Verfahren nicht allein wegen der Anhängigkeit eines (noch) nicht ausgesetzten Verfahrens des Erstgerichts anzuhalten, sondern es ohne Rücksicht darauf fortzusetzen.
2. Der Erfolg der Revision der Beklagten hängt davon ab, ob sich aus der Auslegung des Unionsrechts, namentlich Art. 2 Buchstabe a), Art. 31 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 1 EuGVVO, ergibt, dass die eine Instanz nicht abschließende Entscheidung (Zwischenentscheidung), mit der das Gericht eines Mitgliedstaats die internationale Zuständigkeit der Gerichte jenes Mitgliedstaats feststellt, für das nach Art. 25 EuGVVO vereinbarte, ausschließlich zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats eine gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVVO anzuerkennende Entscheidung ist oder nicht.
Gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVVO werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Auf die Frage, ob die Gerichte in Madrid und San Sebastián eine Entscheidung über die internationale Zuständigkeit im Sinne dieser Vorschrift getroffen haben, kommt es entscheidungserheblich an. Denn die beiden hier in Rede stehenden Verfahren - vor dem Gericht in San Sebastián einerseits und dem Oberlandesgericht Köln andererseits zwischen denselben Parteien betreffen denselben Anspruch im Sinne von Art. 29 Abs. 1 EuGVVO ("le même objet et la même cause"). Die gleiche Grundlage ist gegeben, da für beide Klagen dasselbe Vertragsverhältnis ausschlaggebend ist. Auch derselbe Gegenstand ist anzunehmen. Kern beider Verfahren ist die Frage, ob der Klägerin gegen die Beklagte aus dem Vertrag vom 18. September 2017 Ansprüche wegen Leistungsverzögerung oder Nichtleistung zustehen. Sie betrifft im hiesigen Rechtsstreit den Klagegegenstand an sich. Im Verfahren vor dem Gericht in San Sebastián ist sie eine entscheidende Vorfrage. Jedenfalls insoweit dort eine Zahlung in Höhe der Garantiesumme begehrt wird, besteht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen.
Wären die Entscheidungen der Gerichte in Madrid und San Sebastián nicht nach Art. 36 Abs. 1 EuGVVO anzuerkennen, erwiese sich die Entscheidung des Berufungsgerichts über die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Köln als richtig und die Revision der Beklagten wäre insoweit zurückzuweisen. Wären die vorgenannten Entscheidungen demgegenüber anzuerkennen, müsste auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Köln wiederhergestellt werden. Käme es für die Anerkennung zusätzlich darauf an, ob die Entscheidungen der Gerichte in Madrid und San Sebastián diese selbst binden und/oder auch in der Rechtsmittelinstanz nicht mehr abänderbar sind, wäre das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um das spanische Recht hierzu weiter aufzuklären.
a) Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Köln bestimmt sich ausschließlich nach der EuGVVO.
b) Der Senat kann die - eingangs beschriebene - Auslegung der EuGVVO nicht selbst vornehmen. Deren richtige Anwendung ist nicht zweifelsfrei. Es ist weder ein acte clair noch ein acte éclairé gegeben.
aa) Ein sogenannter acte clair, bei dem die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt, liegt nicht vor.
(1) Einerseits enthält der Wortlaut des Art. 36 Abs. 1 EuGVVO keine Einschränkungen. Er ordnet lediglich an, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Entscheidungen werden in Art. 2 Buchstabe a) EuGVVO definiert als "jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten." Überdies stellt Art. 45 Abs. 3 EuGVVO klar, dass - abseits hier nicht einschlägiger Ausnahmen - die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts nicht nachgeprüft werden darf und die Vorschriften über die Zuständigkeiten auch nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) gehören.
(2) Andererseits bietet die EuGVVO selbst mehrere Anhaltspunkte, auf Grund derer ernsthaft in Zweifel zu ziehen ist, ob auch eine die eigene Zuständigkeit bejahende Zwischenentscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats das vereinbarte inländische Gericht bindet.
Wird ein Gericht eines Mitgliedstaats angerufen, das gemäß einer Vereinbarung nach Art. 25 EuGVVO ausschließlich zuständig ist, so setzt gemäß Art. 31 Abs. 2 EuGVVO das Gericht des anderen Mitgliedstaats unbeschadet des Art. 26 EuGVVO das Verfahren so lange aus, bis das auf der Grundlage der Vereinbarung angerufene Gericht erklärt hat, dass es gemäß der Vereinbarung nicht zuständig ist. Die dies erläuternden Ausführungen im Erwägungsgrund Nr. 22, wonach "das vereinbarte Gericht das Verfahren unabhängig davon fortsetzen können [sollte], ob das nicht vereinbarte Gericht bereits entschieden hat, das Verfahren auszusetzen," sprechen dafür, dem vereinbarten Gericht so lange wie möglich die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz hinsichtlich seiner internationalen Zuständigkeit zu erhalten, und zwar nicht nur für den Fall, dass das zuerst angerufene Gericht noch nicht ausgesetzt, sondern sich entgegen der Aussetzungspflicht sogar für zuständig erklärt hat.
Für eine fortbestehende Prüfungs- und Entscheidungskompetenz spricht zudem die Historie der Verordnung. Die Einführung der Vorschriften zum Vorrang des vereinbarten Gerichts ist als direkte Reaktion des Gesetzgebers auf das Problem der "Torpedoklage" zu sehen (vgl. Musielak/Voit/Stadler/Krüger, 20. Aufl., EuGVVO Art. 31 Rn. 3). Ausweislich des Erwägungsgrunds Nr. 22 waren Änderungen erforderlich, um die Wirksamkeit ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden. Trotz Einführung von Art. 31 Abs. 2 und 3 EuGVVO wäre ein Kläger aber wie früher einer "Torpedoklage" ausgeliefert, wenn das vereinbarte Gericht sich schon deshalb für unzuständig erklären müsste, weil das andere Gericht sich - möglicherweise unbedacht - mit einer - womöglich noch nicht einmal sich selbst bindenden und/oder nicht rechtskräftigen - Zwischenentscheidung für zuständig erklärt.
bb) Es liegt auch kein acte éclairé vor.
Zwar ist dem Urteil vom 15. November 2012 - C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), ECLI:EU:C:2012:719, zu entnehmen, dass auch Endentscheidungen, mit denen das Gericht eines Mitgliedstaats seine Zuständigkeit wegen einer Gerichtsstandsvereinbarung verneint, anzuerkennen sind. Die Frage der Anerkennungsfähigkeit einer die eigene internationale Zuständigkeit bejahenden Zwischenentscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union damit aber noch nicht entschieden.
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 14. Oktober 2004 - C-39/02 (Maersk Olie & Gas), ECLI:EU:C:2004:615, entschieden hat, dass sich die Anerkennungsfähigkeit nicht auf Entscheidungen beschränkt, die einen Rechtsstreit ganz oder teilweise beenden, so geschah dies nach dem Verständnis des Senats allein zur Klarstellung, dass auch einstweilige Anordnungen einschließlich Sicherungsmaßnahmen erfasst sein können. Nicht hiermit verbunden ist die Aussage, dass sämtliche Zwischenentscheidungen anzuerkennen seien.
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union durch Urteil vom 21. März 2024 - C-90/22, ECLI:EU:C:2024:252, entschieden hat, dass es einem Gericht eines Mitgliedstaats nicht gestattet ist, die Anerkennung einer Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung zu versagen, dass sich das letztere Gericht für zuständig erklärt hat und dabei eine in diesem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 25 EuGVVO außer Acht gelassen hat, betraf jenes Vorabentscheidungsverfahren die Frage nach der Anerkennung einer instanzabschließenden Entscheidung. Nach Ansicht des Senats ist damit nicht geklärt, ob bereits eine Zwischenentscheidung das vereinbarte Gericht eines anderen Mitgliedstaats bindet. Die Anerkennung einer bloßen Zwischenentscheidung birgt die eine das Recht des Klägers auf effektiven Rechtsschutz in besonderem Maße betreffende Gefahr eines negativen Kompetenzkonflikts, nämlich wenn das vereinbarte Gericht in Ansehung der Zwischenentscheidung mangels eigener Zuständigkeit die Klage rechtskräftig abweist und hiernach das Gericht des anderen Mitgliedstaats selbst oder dessen übergeordnete Instanzen die eigene Zuständigkeit letztlich doch verneinen.
c) Der Senat neigt dazu, dass die eine Instanz nicht abschließende Entscheidung (Zwischenentscheidung), mit der das Gericht eines Mitgliedstaats die internationale Zuständigkeit der Gerichte jenes Mitgliedstaats feststellt, für das nach Art. 25 EuGVVO vereinbarte, ausschließlich zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats keine gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVVO anzuerkennende Entscheidung ist.
Vor Abschluss des Rechtsstreits ist es dem nicht vereinbarten Gericht trotz anderslautender Zwischenentscheidung wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts immer noch möglich, zur Wahrung der in der EuGVVO verankerten alleinigen Prüfungs- und Entscheidungskompetenz des vereinbarten Gerichts das Verfahren gemäß Art. 31 Abs. 2 EuGVVO auszusetzen. Anders als bei einer Endentscheidung ist es im Fall einer bloßen Zwischenentscheidung damit weiterhin möglich, noch ein verordnungskonformes Verfahren durchzuführen. Etwaig entgegenstehende Vorschriften des nationalen Rechts über die Selbstbindung oder die Rechtskraft dürften auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts vom nicht vereinbarten Gericht nicht angewendet werden. Das setzt jedoch voraus, dass das vereinbarte Gericht nicht gezwungen ist, bereits eine Zwischenentscheidung anzuerkennen. Allein dieses Verständnis verhilft der EuGVVO zu praktischer Wirksamkeit ("effet utile"). Die Ziele der EuGVVO eines effektiven Zugangs zum Recht und eines Vorrangs des vereinbarten Gerichts würden verwirklicht, ohne den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung einer Sachentscheidung oder eines instanzabschließenden Prozessurteils einzuschränken. Nach Auffassung des Senats gilt dies unabhängig davon, ob die Zwischenentscheidung das nicht vereinbarte Gericht selbst bindet und/oder sie in einer Rechtsmittelinstanz abgeändert werden kann. Entscheidend dürfte sein, dass das nicht vereinbarte Gericht nach einer Zwischenentscheidung in jedem Fall noch seiner Aussetzungspflicht gemäß Art. 31 Abs. 2 EuGVVO nachkommen kann.
Pamp Graßnack Halfmeier Borris Jurgeleit Vorinstanzen: LG Köln, Entscheidung vom 11.05.2021 - 5 O 317/19 OLG Köln, Entscheidung vom 12.10.2022 - 11 U 19/22 -