VIa ZR 546/21
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 546/21 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 11. Juni 2024 Heger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:110624UVIAZR546.21.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 17. Mai 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger und die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. Oktober 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Zinsen in Höhe von 4 % aus 45.220 € vom 13. Januar 2017 bis zum 17. Oktober 2019 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte am 13. Januar 2017 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Mercedes-Benz Vito 116 BlueTec, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) und einem SCR-System ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeugverfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), die während eines Kaltstarts zum Einsatz kommt. Für die Berechnung der in den SCR-Katalysator einzuspritzenden Menge der Harnstofflösung AdBlue kommen zwei unterschiedliche Modi (Füllstandsmodus und Onlinemodus) zum Einsatz.
Das Fahrzeug war von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) veranlassten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Die Beklagte entwickelte ein Software-Update. Das KBA gab die Umrüstung unter Verweis darauf frei, es sei keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden. Der Kläger ließ das Software-Update aufspielen.
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Delikts- und Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Feststellung ihrer Pflicht zum Ersatz aus der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierender Schäden (Berufungsantrag zu 3) begehrt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 begehrten Deliktszinsen weiter.
Entscheidungsgründe: 6 Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I. 7 Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet: 8 Einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB stehe entgegen, dass er ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe. Er habe keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Steuerung des Thermofensters, der KSR oder der AdBlue-Dosierung prüfstandsbezogen sei und im normalen Fahrbetrieb anders als auf dem Prüfstand gesteuert werde. Dabei könne unterstellt werden, dass ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei. 9 Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs.1 EG-FGV zu. Die Bestimmungen der EG-FGV stellten keine Gesetze dar, die das Interesse schützten, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.
II. 10 Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand. 11 1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Das Berufungsgericht hat zu Recht erwogen, dass eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde und ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen indiziert wäre, wenn eine im Fahrzeug des Klägers verbaute Einrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung (grenzwertkausal) verstärkt aktivierte (vgl. nur BGH, Urteil vom 6. November 2023 - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11 mwN). Es hat jedoch greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen betreffend die KSR und die AdBlueDosierung hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023,
aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung des Berufungsurteils nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen zu haben.
C. Fischer Rensen Krüger Götz Katzenstein Vorinstanzen: LG Bamberg, Entscheidung vom 16.03.2020 - 44 / 41 O 272/19 OLG Bamberg, Entscheidung vom 26.10.2021 - 6 U 35/20 -