VIa ZR 1279/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 1279/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 30. April 2024 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:300424UVIAZR1279.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO, in dem Schriftsätze bis zum 5. April 2024 eingereicht werden konnten, durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 2. August 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 16.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Er erwarb am 7. Februar 2017 ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW X1 sDrive18d, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine Anträge aus dem ersten Rechtszug im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht im Hinblick auf die Frage, ob § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV individualschützender Natur seien, zugelassenen Revision verfolgt der Kläger nur seine Berufungsanträge zu I (Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Herausgabe des Pkw), zu III (Feststellung des Annahmeverzugs) und zu IV (Freistellung von Rechtsverfolgungskosten) weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
A.
Die Revision des Klägers ist uneingeschränkt statthaft. Das angefochtene Urteil unterliegt aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht in vollem Umfang, d.h. sowohl in Bezug auf einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB als auch wegen eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, der revisionsrechtlichen Nachprüfung. Mit Rücksicht auf die insofern geltenden Maßstäbe (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 17 mwN) kommt eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung etwa im Sinne einer auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV beschränkten Eröffnung des Rechtswegs nicht in Betracht. Denn die Ansprüche auf den „großen Schadensersatz“ einerseits und auf den Differenzschaden andererseits knüpfen jeweils im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags an. Sie unterscheiden sich lediglich durch unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 45). Ungeachtet bestimmter unterschiedlicher Voraussetzungen haben die Ansprüche deshalb eine Vielzahl von Gesichtspunkten gemeinsam. Danach liegen weder unterschiedliche Streitgegenstände vor, noch kann von einem abtrennbaren Teil eines prozessualen Anspruchs die Rede sein.
B.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung auf Schadensersatz. Denn der Kläger habe die Voraussetzungen einer vorsätzlichen Täuschung durch Repräsentanten der Beklagten nicht hinreichend dargetan. Auch könne die Verwendung eines Thermofensters allein mangels Prüfstandsbezugs nicht die Sittenwidrigkeit begründen, und der Kläger habe weder insofern weiterführende Umstände noch greifbare Anhaltspunkte für andere, in seinem Fahrzeug verwendete Abschalteinrichtungen vorgetragen.
Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil es sich bei den genannten Bestimmungen der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Götz Rensen Vogt-Beheim Vorinstanzen: LG Itzehoe, Entscheidung vom 09.07.2021 - 6 O 327/20 OLG Schleswig, Entscheidung vom 02.08.2022 - 3 U 86/21 -