VIa ZR 445/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 445/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 20. November 2023 Bürk Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:201123UVIAZR445.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 9. Februar 2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 8. April 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung - mit Ausnahme der begehrten Zinsen auf den Freistellungsanspruch - zurückgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Sie erwarb im Oktober 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz E 220 CDI BlueEFFICIENCY zu einem Kaufpreis von 37.900 €. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet. In dem Fahrzeug sind ein Thermofenster und eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung verbaut. Das Fahrzeug war für eine von der Beklagten angebotene "freiwillige Servicemaßnahme" vorgesehen.
Die Klägerin hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 6.538,37 € Zug um Zug gegen "Rückgabe" und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen begehrt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge mit Ausnahme der auf den Freistellungsbetrag begehrten Zinsen weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB seien nicht gegeben. Hinsichtlich der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen, insbesondere des Thermofensters und der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, fehlte es - selbst wenn die Funktionsweisen jeweils als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten wären - an einem vorsätzlichen Vorgehen der Beklagten. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EGFGV oder Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kämen nicht Betracht. Bei den Bestimmungen handele es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, weil sie nicht dem Schutz vor dem Eingehen einer ungewollten Verbindlichkeit dienten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR
335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Menges Möhring Götz Rensen Vogt-Beheim Vorinstanzen: LG Bayreuth, Entscheidung vom 08.10.2021 - 32 O 106/21 OLG Bamberg, Entscheidung vom 09.02.2022 - 8 U 219/21 -