V ZB 55/23
BUNDESGERICHTSHOF V ZB 55/23 BESCHLUSS vom 10. Oktober 2024 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2024:101024BVZB55.23.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2024 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel, die Richterinnen Laube und Dr. Grau und den Richter Dr. Schmidt beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 14. Juli 2023 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 311.880,43 €.
Gründe:
I.
Die Parteien verfolgen mit Klage und Widerklage wechselseitige Zahlungsansprüche. Der Beklagte beantragte in erster Instanz für die Rechtsverteidigung gegen die Klage und für die Widerklage mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2016 Prozesskostenhilfe. Das Landgericht lehnte den Antrag ab. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten bewilligte das Oberlandesgericht ihm Prozesskostenhilfe. Durch das am 26. Februar 2019 zugestellte Urteil gab das Landgericht der Klage statt und wies die Widerklage ab.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 25. März 2019 bei dem Oberlandesgericht beantragt, ihm Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts zu bewilligen. Dem Antrag war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 8. März 2019 beigefügt. Das Oberlandesgericht hat dem Beklagten mit Verfügung vom 21. März 2023 unter anderem aufgegeben, eine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen; dabei hat es darauf hingewiesen, dass die bisherigen Angaben nicht plausibel seien. Daraufhin hat der Beklagte einen neu ausgefüllten Formularvordruck vom 12. April 2023 eingereicht, dem er „ergänzende Angaben“ beigefügt hat. Das Oberlandesgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Den daraufhin von dem Beklagten gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist hat das Oberlandesgericht abgelehnt; die gleichzeitig eingelegte und begründete Berufung des Beklagten hat es als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die erst nach Fristablauf eingelegte Berufung unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Beklagte nicht ohne Verschulden an der fristgerechten Einlegung seiner Berufung gehindert gewesen sei. Er habe vernünftigerweise nicht darauf vertrauen können, aufgrund seiner Erklärung vom 8. März 2019 Prozesskostenhilfe zu erhalten. Nach den darin gemachten Angaben hätten ihm nach Abzug von Steuern und Wohnkosten lediglich ca. 200 € für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung gestanden. Es sei für ihn erkennbar nicht plausibel gewesen, dass er von diesem Betrag seine Lebenshaltungskosten habe decken können. Erst auf Nachfrage des Berufungsgerichts habe er am 12. April 2023 ergänzend angegeben, dass die Wohnkosten nicht von ihm, sondern von einer Gesellschaft gezahlt würden. Demnach sei davon auszugehen, dass die Angaben vom 8. März 2019 bewusst wahrheitswidrig oder unvollständig gewesen seien. Der Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass sich seine Erklärung vom 8. März 2019 nicht wesentlich von derjenigen vom 21. Dezember 2016 unterscheide, auf deren Grundlage ihm das Berufungsgericht Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren gewährt habe. Denn entweder sei schon die Erklärung vom 21. Dezember 2016 falsch gewesen oder aber die Einkommensverhältnisse des Beklagten hätten sich durch die zwischenzeitliche Übernahme der Wohnkosten so verändert, dass dies in dem neuen Antrag angegeben werden musste.
III.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig, weil es an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ist der Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert worden (vgl. Senat, Beschluss vom 12. November 2020 - V ZB 32/20, NJW-RR 2021, 506 Rn. 4). Die Annahme, dass die Berufungsfrist schuldhaft versäumt worden ist, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die insoweit weder fortzubilden noch zu ergänzen ist; infolgedessen sind die Ablehnung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Verwerfung der Berufung als unzulässig nicht zu beanstanden.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist lediglich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellt, bei noch laufendem Prozesskostenhilfeverfahren schuldlos verhindert, die Rechtsmittelfrist einzuhalten, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste. Dies ist der Fall, wenn sich die Partei bei objektiver Betrachtung für bedürftig halten und davon ausgehen darf, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß dargelegt zu haben. Hierfür ist erforderlich, dass dem Antrag innerhalb der Rechtsmittelfrist eine vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem dafür vorgesehenen Formular nach § 117 Abs. 4 ZPO nebst den insoweit notwendigen Belegen beigefügt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VIII ZB 1/21, NJW-RR 2021, 568 Rn. 20 mwN). Daran fehlt es, wenn die Partei im Prozesskostenhilfeantrag - für sie selbst offensichtlich - wahrheitswidrige Angaben gemacht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2014 - VI ZA 15/14, NJW 2015, 1312 Rn. 3).
2. Auf dieser Grundlage nimmt das Berufungsgericht ohne zulässigkeitsrelevante Rechtsfehler an, dass der Beklagte aufgrund wahrheitswidriger Angaben in seiner Erklärung vom 8. März 2019 vernünftigerweise nicht darauf vertrauen konnte, ihm werde Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt.
a) Auch freiwillige Zuwendungen Dritter sind nach der umfassenden Definition des § 115 ZPO grundsätzlich dem Einkommen hinzuzurechnen, wenn sie regelmäßig und in nennenswertem Umfang gewährt werden. Bei freiwilligen Leistungen Dritter müssen eidesstattliche Versicherungen der Dritten über Umfang und Grund der Hilfeleistung vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. November 2017 - IX ZA 21/17, NJW-RR 2018, 190 Rn. 7; Beschluss vom 26. Januar 2023 - III ZA 15/22, BeckRS 2023, 8343 Rn. 5).
b) Reichen die von einem Antragsteller im Prozesskostenhilfeverfahren beziffert angegebenen Einkünfte auch für einen noch so bescheidenen Lebensunterhalt nicht aus, besteht die Vermutung, dass bestimmte Einkünfte nicht angegeben wurden. Diese Vermutung muss der Antragsteller ausräumen. Andernfalls ist sein Begehren nach staatlicher Prozessfinanzierung rechtsmissbräuchlich (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 - XI ZA 1/21, BeckRS 2021, 22438 Rn. 7).
c) Dies ist hier der Fall. In seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 8. März 2019 gab der Beklagte hinsichtlich der von ihm mit 666,46 € bezifferten Wohnkosten an, „alles alleine" zu zahlen. Dies entsprach nicht den Tatsachen. Vielmehr räumte der Beklagte erst auf Nachfrage des Berufungsgerichts mit seinen ergänzenden Angaben vom 12. April 2023 ein, dass die Wohnkosten von einer Gesellschaft gezahlt werden. Hierbei handelt es sich um eine regelmäßige Zuwendung in nennenswertem Umfang; insoweit geht das Berufungsgericht mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ohne Rechtsfehler davon aus, dass die ergänzenden Angaben des Beklagten zu dieser Zuwendung Dritter auch auf März 2019 bezogen sind.
3. Im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht auch die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht deswegen erwarten dürfen, weil ihm von dem Berufungsgericht zuvor Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt worden war.
a) Zwar trifft es zu, dass der Rechtsmittelführer nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen in der Regel erwarten kann, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszugs ihn als bedürftig ansieht (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - XII ZB 218/21, NJOZ 2022, 646 Rn. 11 mwN). Diese Voraussetzung ist aber dann nicht gegeben, wenn die Partei oder ihr anwaltlicher Vertreter (§ 85 Abs. 2 ZPO) erkennen kann, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht gegeben sind (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 - VI ZB 61/14, NJW-RR 2015, 703 Rn. 8 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei im Prozesskostenhilfeantrag - für sie selbst offensichtlich - wahrheitswidrige Angaben gemacht hat.
b) Davon geht das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei aus. Zwar entsprachen die Angaben in dem für das Berufungsverfahren gestellten Antrag vom 8. März 2019 den Angaben in dem Prozesskostenhilfeantrag vom 21. Dezember 2016. Gleichwohl konnte der Beklagte nicht darauf vertrauen, dass ihm auch für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Denn entweder war für den Beklagten offensichtlich, dass schon seine Erklärung vom 21. Dezember 2016 falsche Angaben enthielt, weil bereits zu diesem Zeitpunkt seine Wohnkosten nicht von ihm, sondern von einer Gesellschaft gezahlt wurden; oder aber seine Vermögensverhältnisse hatten sich durch die zwischenzeitliche Übernahme der Wohnkosten vor März 2019 derart geändert, dass er aufgrund der erstinstanzlichen Bewilligung nicht auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren vertrauen konnte.
IV. 13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Brückner Grau Göbel Schmidt Laube Vorinstanzen: LG Flensburg, Entscheidung vom 22.09.2019 - 2 O 267/17 OLG Schleswig, Entscheidung vom 14.07.2023 - 4 U 43/19 -