VIa ZR 308/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 308/23 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 18. September 2023 Bachmann Justizfachangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:180923UVIAZR308.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt: Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 15. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht hinsichtlich der Berufungsanträge zu I. und II. zum Nachteil des Klägers erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand: 1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. 2 Der Kläger kaufte am 24. Februar 2012 von einem Händler ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Audi A 7 Sportback 3.0 TDI V6, das mit einem Dieselmotor (entweder EA 897 oder EA 896 Gen2) ausgestattet ist. Die Abgasrückführung wird unter Einsatz eines sogenannten Thermofensters in Abhängigkeit von der Außentemperatur gesteuert.
Der Kläger hat die Beklagte in erster Instanz zuletzt auf Rückzahlung des Kaufpreises von 55.000 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 13.272,74 € (nebst Zinsen), auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 1.706,94 € sowie auf Feststellung des Annahmeverzugs in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er seine Klageanträge mit der Maßgabe weiterverfolgt hat, dass er Zahlung von 20.669,64 € (nebst Zinsen) sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 1.706,94 € verlangt hat, nachdem er das Fahrzeug für 18.000 € verkauft hat. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge vollumfänglich weiter.
Entscheidungsgründe:
Die wirksam auf deliktische Schadensersatzansprüche nebst davon abhängiger Nebenansprüche beschränkte Revision (vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 8 ff.) hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB stehe dem Kläger nicht zu, da das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht als sittenwidrig zu qualifizieren sei. Auch Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bestünden nicht, da diese Bestimmungen keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Die Revision beanstandet nicht, dass das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht feststellen konnte (vgl. § 559 Abs. 2 ZPO). Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen bereits im Ansatz verneint hat.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni
- VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 ff., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 ff.). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 ff.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, nachdem sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann eine deliktische Haftung der Beklagten wegen jedenfalls fahrlässiger Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausgeschlossen werden. Der Senat kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Menges Wille Möhring Liepin Vorinstanzen: LG Koblenz, Entscheidung vom 24.03.2022 - 16 O 401/19 OLG Koblenz, Entscheidung vom 15.02.2023 - 9 U 592/22 - Krüger