IV ZR 125/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES IV ZR 125/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 17. April 2024 Heinekamp Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:170424UIVZR125.22.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 27. März 2024 für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Rostock - 4. Zivilsenat - vom 8. März 2022 aufgehoben. Die Anschlussrevision des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 14.386,13 € festgesetzt.
In Abänderung der Streitwertfestsetzung der Vorinstanzen wird der Streitwert des Verfahrens erster Instanz auf 16.253,72 € und zweiter Instanz auf 14.749,09 € festgesetzt.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von drei fondsgebundenen Rentenversicherungsverträgen.
Er beantragte am 25. November 2005 bei der Beklagten den Abschluss des ersten Versicherungsvertrages (Vertrag zu 1). Im Antragsformular befand sich, gesondert zu unterschreiben, u.a. folgender Absatz:
"Mir ist bekannt, dass ich innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Zustellung der Versicherungspolice zurücktreten kann. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn ich den Versicherungsschein erhalten habe." In den Vertragsunterlagen befand sich zudem folgende Passage:
"Sie können innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Abschluss des Vertrages von dem Vertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn wir Sie über Ihr Rücktrittsrecht belehrt und Sie die Belehrung durch Unterschrift bestätigt haben." Der Versicherungsschein datiert vom 6. Dezember 2005. Der Kläger zahlte zunächst ab Dezember 2005 die vereinbarten Beiträge. Er erhielt im Juli 2010 eine Teilauszahlung. Im November 2011 geriet er mit der Beitragszahlung in Verzug, woraufhin ihn die Beklagte mit Schreiben vom 18. November 2011 mahnte unter gleichzeitigem Ausspruch einer Kündigung für den Fall, dass der Rückstand nicht von einer binnen zwei Wochen mitzuteilenden Bankverbindung eingezogen werden könne. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 6. Dezember 2011 mit, dass er seinen Versicherungsschutz angesichts der wirksam gewordenen Kündigung aufrechterhalten könne, wenn er eine unterzeichnete Einzugsermächtigung bis zum 4. Januar 2012 zurücksende. Dem kam der Kläger noch im Januar nach und der Vertrag wurde auf seinen Wunsch wieder in Kraft gesetzt. Weitere gleichartige Mahnungen in Verbindung mit einer bedingt ausgesprochenen Kündigung erfolgten wegen Zahlungsrückständen im April 2012, im Juni 2014 und im Dezember 2015, wobei der Kläger die offenen Beträge jeweils rechtzeitig ausglich. Im März 2013 reduzierte er seinen Beitrag und schloss die Dynamik aus. Im April 2013 änderte er seine Anlagestrategie und ab Januar 2016 stellte er die Versicherung beitragsfrei.
Der Kläger beantragte ferner am 12. Mai 2006 (Vertrag zu 2) und am 28. September 2006 (Vertrag zu 3) jeweils einen Kinderrentenversicherungsvertrag. Beide Antragsformulare enthielten die Passage:
"Mir ist bekannt, dass ich innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Zustellung der Versicherungspolice zurücktreten kann. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn ich den Versicherungsschein und die Verbraucherinformation für die Fondsgebundene Kinderversicherung erhalten habe." Die Versicherungsscheine datieren vom 29. Mai 2006 (Vertrag zu 2) bzw. 11. Oktober 2006 (Vertrag zu 3).
Der Kläger geriet mit der Beitragszahlung zum Vertrag zu 2 im April 2012, September 2012 und Dezember 2015 und zum Vertrag zu 3 im März 2007, im April 2013 und im Dezember 2015 in Verzug, woraufhin ihn die Beklagte jeweils mahnte unter gleichzeitigem Ausspruch einer Kündigung für den Fall, dass der Rückstand nicht von einer binnen zwei Wochen mitzuteilenden Bankverbindung eingezogen werden könne; der Kläger glich die offenen Beträge jeweils rechtzeitig aus. Im März 2013 änderte er die Anlagestrategie zum Vertrag zu 3. Ab Januar 2016 stellte er beide Kinderrentenversicherungen beitragsfrei.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2016 erklärte der Kläger die Anfechtung sowie vorsorglich einen "Widerspruch/Rücktritt" bezogen auf alle drei Versicherungsverträge und begehrte eine Erstattung der geleisteten Beiträge abzüglich der erfolgten Teilauszahlung zuzüglich Nutzungsersatz. Er erhielt in der Folge den jeweiligen Rückkaufswert. Der Kläger meint, er habe dem jeweiligen Vertragsschluss noch im Jahr 2016 widersprechen können. Es fehle an einer drucktechnischen Hervorhebung der Belehrung, außerdem sei die Verbraucherinformation mangels Angaben zur Antragsbindungsfrist, einer Sicherungseinrichtung, der Gesamtbeitragssumme sowie aussagekräftigen Fondsinformationen unvollständig, sodass die Verträge im Policenmodell abgeschlossen worden seien. Die Widerspruchsfrist nach § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) sei mangels Widerspruchsbelehrung nicht in Gang gesetzt worden.
Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten abgeändert und diese verurteilt, an den Kläger 11.834,62 € zuzüglich Jahreszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 25. Juli 2018 sowie aus 36.127,11 € für die Zeit vom 25. Februar 2016 bis zum 24. Juli 2018 zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die vollständige Klageabweisung weiter. Mit der Anschlussrevision begehrt der Kläger die weitergehende Verurteilung der Beklagten hinsichtlich des Ersatzes von Nutzungen aus den Verwaltungskostenanteilen in Höhe von 47,99 €.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Anschlussrevision des Klägers ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt, dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückerstattung geleisteter Versicherungsbeiträge gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Die Versicherungsverträge seien nicht nach dem Antragsmodell, sondern im Policenmodell geschlossen worden, weil die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) erforderliche Verbraucherinformation nicht vollständig erteilt worden sei. Es habe der Hinweis auf die Antragsbindungsfrist gefehlt. An der Information über die Antragsbindungsfrist bestehe generell ein berechtigtes Interesse des Antragstellers. Die Beklagte hätte den Kläger daher gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. bei Aushändigung der Versicherungsscheine über sein Widerspruchsrecht belehren müssen; eine Belehrung im Antrag genüge nicht. Mangels Widerspruchsbelehrung habe das Widerspruchsrecht des Klägers im Zeitpunkt seiner Erklärung fortbestanden.
Die Beklagte könne sich nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB auf die Verwirkung des Widerspruchsrechts berufen. Zwar könne auch im Falle einer fehlenden ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorlägen. Sei der Vertrag zu 1 aufgrund von Beitragsrückständen des Klägers durch die Beklagte im Jahr 2011 gekündigt, dann aber wieder in Kraft gesetzt worden, nachdem der Kläger durch seine Bitte, den Vertrag fortzuführen, deutlich gemacht habe, die Versicherung in jedem Fall fortsetzen zu wollen, sei ein gleichwohl erklärter Widerspruch in einer solchen Konstellation als (besonders) grob widersprüchliches Verhalten gewertet worden. Ähnlich sei es eingeordnet worden, wenn - wie im Falle der Verträge zu 2 und 3 - auf eine qualifizierte Mahnung wegen eingetretener Beitragsrückstände die bedingt ausgesprochene Kündigung nicht wirksam geworden sei, weil der Versicherungsnehmer dies durch einen rechtzeitigen Ausgleich der offenen Prämien verhindert habe. Dem sei aber angesichts der Zielrichtung und des Zwecks verbraucherschutzrechtlicher Regelungen nicht zu folgen. Die Annahme eines Ausschlusses des Widerspruchsrechts wegen treuwidrigen Verhaltens scheide aus, weil sie einer subjektiven Komponente auf Seiten des Versicherungsnehmers derart bedürfe, dass aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein müsse, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen worden seien, um sich einen vorgesehenen Vorteil ungerechtfertigt zu verschaffen. Ein Unternehmer dürfe in Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 9. September 2021, Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736 = NJW 2022, 40) im Falle der Ausübung eines Vertragslösungsrechts durch den Verbraucher keinen Rechtsmissbrauch annehmen, wenn eine der vorgesehenen zwingenden Angaben weder in dem betreffenden Vertrag enthalten noch nachträglich ordnungsgemäß mitgeteilt worden sei, unabhängig davon, ob der Verbraucher von seinem Lösungsrecht Kenntnis gehabt habe. Die Verbraucherinformation sei unzureichend gewesen, weil nach Abschnitt I Nr. 1 Buchst. g) der Anlage Teil D zum VAG a.F. in Übereinstimmung mit Buchst. a 13) des Anhangs III der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen auch über das Recht zum Widerruf oder Rücktritt zwingend zu informieren sei. Sei eine solche Belehrung im vorliegenden Fall zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Policenmodell (gar) nicht ersichtlich, könne sich der Versicherer in keinem Fall auf eine Verwirkung des Widerspruchsrechts durch den Versicherungsnehmer berufen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Revision der Beklagten ist jedenfalls insoweit zulässig, insbesondere aufgrund der Zulassung durch das Berufungsgericht gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, als sie sich gegen ihre Verurteilung dem Grunde nach wendet, weil das Berufungsgericht einen Ausschluss des Widerspruchsrechts des Klägers wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens für unzulässig gehalten hat.
2. Die Revision ist auch begründet. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Bereicherungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht bejaht werden.
a) Ein solcher Anspruch ist entgegen der Ansicht der Revision allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil es an einer wirksamen Widerspruchserklärung fehlt. Der Kläger hat im Schreiben vom 10. Februar 2016 den Widerspruch formal wirksam erklärt. Dies ergibt die Auslegung des Schreibens, die der Senat selbst vornehmen kann, weil insoweit weitere Feststellungen nicht erforderlich sind.
aa) Das Schreiben ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger neben der dort eingangs erklärten Anfechtung gleichzeitig ("zudem") - nicht dagegen nachrangig - den Widerspruch gegen den jeweiligen Vertragsschluss erklärt hat. Die Verwendung des Wortes "vorsorglich" ist nicht im Sinne von
"hilfsweise" und damit einer Bedingung nach § 158 BGB zu verstehen, sondern bringt lediglich zum Ausdruck, dass sich der Kläger auch auf einen Widerspruch gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. berufen will.
bb) Die Widerspruchserklärung ist nicht mangels hinreichender Bestimmtheit unwirksam, obwohl aus dem Schreiben des Klägers vom 10. Februar 2016 nicht eindeutig hervorgeht, auf welches seiner beanspruchten Gestaltungsrechte er sich vorrangig beruft. Zwar ist der Erklärungsempfänger einer einseitigen gestaltenden Willenserklärung davor zu bewahren, im Ungewissen über die nach der Ausübung eines Gestaltungsrechts des Erklärenden eintretenden Rechtsfolgen zu bleiben (vgl. BGH, Urteile vom 26. März 2004 - V ZR 90/03, NJW-RR 2004, 952 [juris Rn. 22]; vom 21. März 1986 - V ZR 23/85, BGHZ 97, 264, 267 [juris Rn. 16]). So verhält es sich aber nicht, wenn sich der Erklärende parallel auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder Drohung und auf einen Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. beruft. Eine Ungewissheit des Erklärungsempfängers über die Auswirkungen für den Bestand eines Vertrags oder die eintretenden Rechtsfolgen kann hierdurch grundsätzlich nicht eintreten, weil Folgen der Ausübung beider Gestaltungsrechte jeweils eine Unwirksamkeit des Vertrags ex tunc und eine bereicherungsrechtliche Abwicklung sind.
Die Auslegung des Schreibens vom 10. Februar 2016 gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt, dass sich der Kläger, der einen Anfechtungsgrund nicht ausdrücklich benannt hat, auf denjenigen der arglistigen Täuschung im Sinne von § 123 BGB zu berufen beabsichtigte. Das hat auch die Beklagte so aufgefasst. Unschädlich für die hinreichende Bestimmtheit der Gestaltungserklärung ist vorliegend auch, dass der Kläger in seinem Schreiben einen Schadensersatzanspruch erwähnt hat, der einen Fortbestand des Vertrags voraussetzte und damit den Rechtsfolgen der Anfechtung widerspräche [(vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1991 - V ZR 299/89, NJW 1991, 1673 [juris Rn. 12])]. Maßgeblich für das eindeutige Verständnis als Anfechtungserklärung ist, dass der Kläger am Ende seines Schreibens als Hauptforderung Beträge geltend gemacht hat, die sich allein aus einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung, nicht aber als Folge eines zuvor erwähnten Schadensersatzanspruches ergeben.
b) Zudem hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass das Widerspruchsrecht des Klägers nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bezüglich der drei Versicherungsverträge grundsätzlich fortbestand, weil die Beklagte ihn nicht ordnungsgemäß belehrt hat. Die Verträge sind nicht nach dem Antragsmodell, sondern nach dem Policenmodell geschlossen worden, weil die Beklagte bei Antragstellung die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. erforderliche Verbraucherinformation wegen des Fehlens der Angaben über die Antragsbindungsfrist jeweils nicht vollständig erteilt hat (vgl. Senatsurteile vom 18. Juli 2018 - IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113 Rn. 14 f.; vom 23. September 2015 - IV ZR 179/14, r+s 2015, 539 Rn. 11).
Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 29. November 2023 (IV ZR 117/22, VersR 2024, 230 Rn. 14 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, muss bei einem beabsichtigten Vertragsschluss im Antragsmodell die nach § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. erforderliche Verbraucherinformation eine Angabe über die Antragsbindungsfrist auch dann enthalten, wenn der Versicherer den Antrag des Versicherungsnehmers binnen der vertraglich vereinbarten oder der gesetzlichen Antragsbindungsfrist (§ 147 Abs. 2 BGB) annimmt. Die Informationspflicht des Versicherers über die Antragsbindungsfrist aus Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f) der Anlage Teil D zum VAG a.F. steht in Einklang mit unionsrechtlichen Vorschriften (Senatsurteil vom 29. November 2023 aaO Rn. 15 f.). Ein berechtigtes Informationsbedürfnis des Antragstellers an dieser Angabe entfällt durch die fristgerechte Annahme nicht. Diese betrifft ausschließlich die Auswirkungen auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Widerspruchsbelehrung kommt es auf derartige Kausalitätserwägungen aber nicht an. Ein nach dem Senatsurteil vom 18. Juli 2018 (IV ZR 68/17, VersR 2018, 1113 Rn. 15-17) zu hinterfragendes Informationsbedürfnis bezieht sich nicht auf den individuellen Einzelfall des konkreten Versicherungsnehmers, sondern auf Zweck und Zielrichtung der fehlenden Einzelinformation (Senatsurteil vom 29. November 2023 aaO Rn. 19 f.).
Der Senat sieht auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine Veranlassung, von seiner Rechtsauffassung zur Anwendbarkeit des Policenmodells bei Fehlen einer Einzelinformation in der Verbraucherinformation abzurücken. Die Beklagte hätte den Kläger daher jeweils über das ihm gemäß § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht ordnungsgemäß belehren müssen (§ 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F.). Wirksame Widerspruchsbelehrungen hat sie nicht erteilt. Selbst wenn die Rücktrittsbelehrungen, die sie dem Kläger übergeben hat, als Widerspruchsbelehrungen ausgelegt würden, fehlte es dort jedenfalls an der Angabe der bei einem Widerspruch zu wahrenden Form, hier der Textform (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 ff.).
c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheidet ein Ausschluss des Widerspruchsrechts wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers jedoch nicht deshalb aus, weil es dafür einer subjektiven Komponente auf Seiten des Versicherungsnehmers bedürfte und die Voraussetzungen eines vorgesehenen Vorteils willkürlich geschaffen worden sein müssten, um ihn sich ungerechtfertigt zu verschaffen. Im Rahmen des anwendbaren (nationalen) Grundsatzes von Treu und Glauben nach § 242 BGB kommt es hierauf nicht an.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Versicherer bei einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung zwar grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat. Aber auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung kann die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind (Senatsurteil vom 19. Juli 2023 - IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 9 m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHZ 238, 32 vorgesehen; st. Rspr.). Wie der Senat im Urteil vom 19. Juli 2023 im Einzelnen ausgeführt hat, sind die Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt. Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht in Fällen wie dem vorliegenden in Einklang mit dieser Rechtsprechung (vgl. Senatsurteil vom 19. Juli 2023 aaO Rn. 13 ff.). Zwar berührt die Frage, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürfen, das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen. Etwas anderes ergibt sich - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch nicht aus den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union zum unionsrechtlichen Grundsatz des Rechtsmissbrauchs in dessen Entscheidung vom 9. September 2021 (Volkswagen Bank u.a., C-33/20, C-155/20 und C-187/20, EU:C:2021:736
= NJW 2022, 40), die zu der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. EU 2008 Nr. L 133 S. 66) ergangen ist und den nicht ordnungsgemäß belehrten Verbraucher betrifft (Senatsurteil vom 19. Juli 2023 aaO Rn. 15 ff.).
III. Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil dieses - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht abschließend entschieden hat, ob die Begleichung von Beitragsrückständen durch den Kläger nach qualifizierten Mahnungen mit Kündigungsandrohungen bzw. nach wirksam gewordener Kündigung als besonders gravierender Umstand einzuordnen sind, der ihm ein Berufen auf sein Widerspruchsrecht nach Treu und Glauben verwehrt, und es daher zunächst das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach erneut zu prüfen hat.
IV. Die Anschlussrevision hat keinen Erfolg.
Das von dem Kläger mit seinem Rechtsmittel verfolgte Begehren der Zahlung einer höheren Nutzungsentschädigung ist schon deshalb unbegründet, weil ein Bereicherungsanspruch aus den zur Revision der Beklagten dargelegten Gründen mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht bejaht werden kann.
28 V. Die Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 43 Abs. 1, 45 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO.
1. Soweit sich der Antrag der Beklagten im Revisionsverfahren (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG) gegen die Verurteilung zur Zahlung eines bezifferten Betrags wendet, ist dieser in voller Höhe (11.834,62 €, Prämienrückzahlung und Nutzungsersatz) zugrunde zu legen.
Verlangt ein Versicherungsnehmer gestützt auf einen Widerspruch nach § 5a VVG a.F. die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages, ist ein in diesem Rahmen geltend gemachter Anspruch auf Herausgabe bzw. Ersatz von Nutzungen bei der Festsetzung des Gebührenstreitwerts zu berücksichtigen (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2018 - IV ZB 10/18, VersR 2019, 251 Rn. 8 ff. zu § 4 ZPO). Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 43 Abs. 1 GKG.
Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der Nichtberücksichtigung von als Nebenforderungen bei der Gebührenstreitwertermittlung geltend gemachten Früchten, Nutzungen, Zinsen oder Kosten gemeint, dadurch werde eine "oft zeitraubende Berechnung der Nebenforderungen, insbesondere der Zinsen, erspart" (BT-Drucks. 7/2016 S. 73 zu Nummer 20; BT-Drucks. 15/1971 S. 155 zu § 43 GKG). In einer erheblichen Zahl der Verfahren, in denen nach Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Lebensversicherungsvertrages begehrt wird, würde die Streitwertberechnung angesichts der zu bestimmenden Verrechnungsweise etwaiger Rückzahlungen des Versicherers erhebliche Schwierigkeiten aufwerfen (im Einzelnen vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2018 - IV ZB 10/18, VersR 2019, 251 Rn. 9 f.). Die vom Gesetzgeber bezweckte Zeitersparnis und eine einfache und klare Berechnung des Gebührenwertes erfordern - unabhängig von den Umständen des Einzelfalls - in den Widerspruchsfällen eine Berücksichtigung, nicht hingegen eine Nichtberücksichtigung der klageweise geltend gemachten bezifferten Nutzungen. Die Berücksichtigung belastet die Prozessparteien auch nicht unangemessen, weil das Interesse des Klägers in diesen Fällen wirtschaftlich darin zu sehen ist, dass ihm gerade auch die gezogenen Nutzungen ersetzt werden, da er die eingezahlten Beiträge in der Regel im Wesentlichen auch im Falle einer Vertragskündigung zurückerhielte (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2022, 111 [juris Rn. 9]).
Streitwerterhöhend wirken weiterhin vom Berufungsgericht als Verzugsschaden zugesprochene Zinsen in Höhe fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz vom 25. Februar 2016 bis zum 24. Juli 2018, soweit sie sich nicht auf den Betrag der mit der Klage geltend gemachten Hauptforderung beziehen (36.127,11 € - 10.971,70 € (11.834,62 € 862,92 €) = 25.155,41 €; vgl. § 43 Abs. 1 GKG) und daher selbst Hauptforderung sind, d.h. in Höhe von 2.503,52 €. Im Übrigen handelt es sich um eine nicht zu berücksichtigende Nebenforderung im Sinne von § 43 Abs. 1 GKG.
Die mit der Anschlussrevision des Klägers geltend gemachten weiteren Nutzungen in Höhe von 47,99 € sind nach den genannten Grundsätzen ebenfalls streitwerterhöhend zu berücksichtigen (§ 45 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 GKG), woraus ein Streitwert für das Revisionsverfahren von 14.386,13 € resultiert.
2. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht ergänzend auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Der Streitwert setzt sich zusammen aus dem bezifferten Zahlbetrag von 12.386,36 € sowie von der Hauptforderung nicht abhängigen Zinsen auf 23.740,75 € (36.127,11 € - 12.386,36 €), d.h. 2.362,73 €.
Der Streitwert für die erste Instanz errechnet sich aus den ursprünglichen (§ 40 GKG) Klageanträgen zu 1 (Prämienrückzahlung: 11.739,14 €) und zu 2 (Nutzungen: 2.287,41 €) sowie Zinsen auf den nicht mit eingeklagten Betrag von 22.100,56 € (36.127,11 € - 14.026,55 €) in Höhe von 2.227,17 €.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanzen: LG Schwerin, Entscheidung vom 19.05.2021 - 1 O 381/19 OLG Rostock, Entscheidung vom 08.03.2022 - 4 U 51/21 -