1 StR 207/24
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES StR 207/24 URTEIL vom 18. September 2024 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a.
ECLI:DE:BGH:2024:180924U1STR207.24.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 17. September 2024 in der Sitzung am 18. September 2024, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Bär, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Leplow und Richterin am Bundesgerichtshof Munk,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung vom 17. September 2024 –, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung am 18. September 2024 –
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 17. September 2024 –
als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17. August 2023 a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass die Angeklagte der banden- und gewerbsmäßigen Urkundenfälschung in 18 Fällen, hiervon in neun Fällen in Tateinheit mit bandenund gewerbsmäßigem Betrug, schuldig ist, und b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Gründe: 1 Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen Urkundenfälschung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.550 Euro angeordnet.
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zuungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision insbesondere, dass die Strafkammer eine Bandenmitgliedschaft der Angeklagten verneint und keine Einziehung des Wertes der jeweils durch Betrug erlangten Fahrzeuge nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB angeordnet hat. Das Rechtsmittel führt zu der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und der dadurch bedingten Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Übrigen hat es keinen Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren die anderweitig verfolgten M. ,
C. und mindestens ein weiterer Mittäter Ende Februar 2022 bis mindestens 24. September 2022 Mitglieder einer Tätergruppierung, die bei Autovermietungen hochwertige Fahrzeuge unter falschen Identitätspapieren anmietete und diese, wie von Anfang an beabsichtigt, mit gefälschten Zulassungsbescheinigungen an gutgläubige Interessenten veräußerte.
Hierbei wirkten stets mindestens drei Täter in einer festen Struktur arbeitsteilig zusammen.
4 Im Rahmen dieses arbeitsteiligen Vorgehens rief M.
die jeweilige Autovermietung an und buchte für einen bestimmten Zeitraum ein hochwertiges Fahrzeug auf den in gefälschten Identitätspapieren genannten Namen. Das Fahrzeug sollte dann von der Autovermietung durch einen „Abholer“ übernommen werden, der sich mit den falschen Identitätspapieren auswies, den Mietvertrag unterschrieb sowie Mietzins und Kaution leistete.
5 Zur Abholung der Fahrzeuge fuhren M.
oder C.
oder beide gemeinsam mit dem Abholer zur Autovermietung. Der Abholer erhielt kurz davor die gefälschten Identitätspapiere und Geld zur Bezahlung von Miete und Kaution. Anschließend ging der Abholer alleine in das Büro der Autovermietung, erledigte die Formalitäten unter Vorlage der Identitätspapiere, bezahlte und fuhr das Fahrzeug zu dem ihm zuvor von M.
oder C.
genannten Parkplatz. Dort fotografierte M.
die Zulassungsbescheinigungen des Fahrzeugs und übermittelte das Foto einem weiteren Mitglied der Tätergruppierung. Dieser erstellte nun unter Verwendung der bei einem Einbruch in das Stra- ßenverkehrsamt D.
entwendeten und mit Siegelabdruck und Wappen versehenen Blankozulassungsbescheinigungen Teil I und II auf den zuvor festgelegten Aliasnamen lautende Zulassungsbescheinigungen, um den Anschein zu erwecken, dass die zunächst als Abholer und dann als Verkäufer unter den Aliaspersonalien agierende Person Eigentümer des Fahrzeugs sei. Dann bot M.
die Fahrzeuge zum Verkauf an, führte die Verhandlungen mit Kaufinteressenten und bestimmte den Kaufpreis sowie Zeitpunkt und Ort einer Besichtigung des Fahrzeugs. Im Falle der Vereinbarung eines Verkaufstermins fuhren M.
oder C.
oder beide gemeinsam mit dem angeblichen Verkäufer zu dem vereinbarten Übergabeort. Der Verkäufer erhielt nun die durch die Tätergruppierung erstellten Fahrzeugpapiere, ging alleine zu dem Kaufinteressenten,
ließ diesen das Fahrzeug besichtigen, verkaufte es, unterschrieb den Kaufvertrag mit der Aliaspersonalie, übergab die Zulassungsbescheinigungen Teil I und II an den Käufer und nahm den Kaufpreis entgegen. Dann kehrte er zu M.
oder C. zurück, die den Verkauf des Fahrzeugs in ihrem Wagen aus unmittelbarer Nähe überwacht und beobachtet hatten, und übergab diesen das Bargeld.
Im Zeitraum vom 7. Juli 2022 bis zum 24. September 2022 wurde die Angeklagte in 18 Fällen – in neun Fällen als Abholerin und in neun Fällen als Verkäuferin – für die Tätergruppierung tätig, um mit dem ihr versprochenen Lohn künftig einen Teil ihres Lebensunterhalts zu bestreiten. Vor Anmietung und Abholung der Fahrzeuge erhielt sie jeweils einen auf den Namen W.
ausgestellten falschen österreichischen Personalausweis und Führerschein mit ihrem Passbild, das die Tätergruppierung vor ihrem ersten Auftrag von ihr angefertigt hatte. Personalausweis und Führerschein legte sie jeweils der Autovermietung vor, unterschrieb den Mietvertrag mit falschem Namen, bezahlte Mietzins und Kaution mit dem ihr zuvor ausgehändigten Bargeld, übernahm das Fahrzeug und gab M.
oder C.
Personalausweis und Führerschein nach jeder einzelnen Abholung, wie von diesen verlangt, zurück.
Bei der späteren Veräußerung des Fahrzeugs fuhr die Angeklagte mit einem der beiden oder beiden zum Übergabeort und erhielt von ihnen die auf den Namen W. angefertigten Zulassungsbescheinigungen Teil I und II.
M. und/oder C. überwachten den Verkaufsvorgang in ihrem Fahrzeug aus unmittelbarer Nähe. Die Angeklagte unterschrieb den Kaufvertrag mit diesem Namen, händigte dem Käufer die Zulassungsbescheinigungen aus und nahm den Kaufpreis entgegen. Dann übergab sie M.
und/oder C.
das Bargeld.
Die Angeklagte erhielt als Lohn für ihre Rolle als Abholerin und Verkäuferin insgesamt 1.550 Euro. Den geschädigten Autovermietungen entstand ein Vermögensschaden in Höhe von insgesamt 218.300 Euro, der der Tätergruppierung zugeflossen ist.
2. Das Landgericht hat die Taten zum Nachteil der Autovermietungen als Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1, § 267 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB und die Vorlage der gefälschten Zulassungsbescheinigungen Teil I und II an die Kaufinteressenten als Urkundenfälschung in neun Fällen gemäß § 267 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB gewürdigt. Eine Bandenmitgliedschaft der Angeklagten (§ 263 Abs. 1, Abs. 5, § 267 Abs. 1, Abs. 4 StGB) hat es insbesondere mit der Begründung abgelehnt, sie habe auf den Anmietungs- und Verkaufsprozess der Fahrzeuge keinen Einfluss gehabt sowie die Bandenstruktur und die Namen der Bandenmitglieder nicht gekannt.
II.
Die zulasten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat insoweit Erfolg, als das Landgericht die tatqualifizierende Annahme eines bandenmäßigen Handelns der Angeklagten rechtsfehlerhaft verneint hat. Hinsichtlich der begehrten Einziehung des Wertes der jeweils durch Betrug erlangten Fahrzeuge hat die Revision keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat bei der rechtlichen Beurteilung der Bandenmitgliedschaft einen unzutreffenden Maßstab angelegt.
a) Eine Bande ist eine auf eine gewisse Dauer angelegte Verbindung von mindestens drei Personen, die sich zur fortgesetzten Begehung einer noch unbestimmten Vielzahl von Taten verbunden haben. Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich nach der deliktischen Vereinbarung, der so genannten Bandenabrede, die ausdrücklich oder stillschweigend getroffen werden kann. Mitglied einer Bande kann dabei auch derjenige sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen. Nicht erforderlich ist, dass sich sämtliche Bandenmitglieder untereinander kennen und gemeinsam an der Abrede beteiligt waren (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2021 – 3 StR 255/21 Rn. 34; Beschluss vom 22. Januar 2019 – 2 StR 212/18 Rn. 21; jeweils mwN). Eine Bandenabrede ist sogar zwischen Personen möglich, die sich sämtlich nicht näher kennen, sondern unter Pseudonymen und Decknamen im virtuellen Raum des Internets miteinander handeln (BGH, Beschluss vom 14. November 2023 – 6 StR 449/23 Rn. 13).
b) Daran gemessen tragen die Feststellungen eine Bandenmitgliedschaft der Angeklagten. Sie war vom 7. Juli 2022 bis zum 24. September 2022 gemeinsam mit M.
, C. und dem Täter, der die unechten Identitätspapiere und Zulassungsbescheinigungen zur Verfügung stellte, an insgesamt 18 Taten beteiligt, wobei die Täter jeweils in derselben Weise arbeitsteilig vorgingen. Sämtliche Taten wurden innerhalb eines kurzen Zeitraums, in schneller Abfolge und unter Verwendung derselben Falschpersonalien begangen. Als der Angeklagten nach der ersten Tat Bedenken kamen, setzten sie die ihr übergeordneten Bandenmitglieder M.
und C.
unter Druck, um sie zu veranlassen, der Abrede gemäß mit den Taten fortzufahren. Dies entspricht einer hierarchischen Bandenstruktur. Zwar hatte die Angeklagte keine Kenntnis über die Anzahl der Mitglieder der Bande, deren Aufgaben und echten Namen. Dies ist jedoch irrelevant. Übt ein Täter dauerhaft und zuverlässig eine wesentliche Rolle bei konzertierten Betrugstaten aus, in die nach seiner Kenntnis wenigstens zwei weitere Personen fest eingebunden sind, die ihrerseits von ihm wissen, so schließt er sich einer Bande an. Dass er die Identität der Komplizen nicht kennt, ist unerheblich (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 19. Oktober 2023 – 3 StR 181/23 Rn. 28 mwN). In ihrer Rolle als „Abholerin“ und „Verkäuferin“ war die Angeklagte fest in die Organisation der Bande eingebunden, akzeptierte die dort geltenden Regeln und trug durch ihre wiederholten erfolgreichen Tathandlungen zum Fortbestand der Bande bei.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch auf die Revision der Staatsanwaltschaft entsprechend ab. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil die Tat so angeklagt war und sich die Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
d) Die Änderung des Schuldspruchs infolge der tatqualifizierenden Annahme bandenmäßigen Handelns zieht die Aufhebung der verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe nach sich. Die Feststellungen sind hiervon nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO) und können durch solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.
2. Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ohne Rechtsfehler keine Einziehung des Wertes der jeweils durch Betrug von den Autovermietungen erlangten Fahrzeuge als Tatertrag nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB angeordnet.
a) Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegen Vermögensgegenstände, die der Täter oder Teilnehmer durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangt hat, zwingend der Einziehung. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er dessen faktischer Verfügungsgewalt unterliegt. Kann der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen, hat er faktische Verfügungsgewalt (BGH, Beschluss vom 21. August 2018 – 2 StR 311/18 Rn. 8 mwN). Unerheblich ist deshalb, ob das Erlangte beim Täter oder Teilnehmer verbleibt oder ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dieser eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später – etwa durch absprachegemäße Weitergabe an einen anderen – wieder aufgegeben hat (BGH, Urteil vom 1. Juni 2022 – 1 StR 421/21 Rn. 30 mwN).
Anders liegt es, wenn der Tatbeteiligte den Gegenstand nur transitorisch erhalten hat, weil er ihn kurzfristig weiterzuleiten hatte (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2023 – 3 StR 343/22 Rn. 23 mwN). Ein solcher transitorischer Besitz ist allerdings dann nicht anzunehmen, wenn der Tatbeteiligte den durch die Tat erlangten Gegenstand über eine nicht unerhebliche Zeit unter Ausschluss der anderen Tatbeteiligten in seiner faktischen Verfügungsgewalt hält, etwa weil er vor dessen Weitergabe eine längere Fahrtstrecke zurückzulegen hat, auf der er faktisch alleine über das Erlangte verfügen kann (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2022 – 1 StR 421/21 Rn. 31 mwN).
b) Nach den Feststellungen erhielt die Angeklagte die Fahrzeuge nur transitorisch, weil sie sie – unter ständiger Beobachtung und Kontrolle stehend – an weitere Mitglieder der Tätergruppierung sofort zu übergeben hatte.
Jäger Fischer Bär Leplow Munk Vorinstanz: Landgericht Heilbronn, 17.08.2023 - 14 KLs 59 Js 35876/22