IV AR (VZ) 3/23
BUNDESGERICHTSHOF IV AR(VZ) 3/23 BESCHLUSS vom 8. Mai 2024 in dem Verfahren ECLI:DE:BGH:2024:080524BIVAR.VZ.3.23.0 Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Karczewski, die Richterinnen Harsdorf-Gebhardt, Dr. Brockmöller, Dr. Bußmann und den Richter Dr. Bommel am 8. Mai 2024 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Kammergerichts - 1. Zivilsenat - vom 16. Februar 2023 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Rechtsbeschwerdewert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Antragsteller wenden sich gegen einen Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Berlin (im Folgenden: Antragsgegner) vom
15. Februar 2022, mit dem dieser angekündigt hat, nach Rechtskraft seiner Entscheidung auf der Grundlage von § 299 Abs. 2 ZPO der weiteren Beteiligten uneingeschränkt Einsicht in die Akten eines vor dem Landgericht Berlin geführten Zivilrechtsstreits zu gewähren. In diesem Verfahren wird u.a. der Antragsteller zu 1. von der M.
AG (im Folgenden:
AG) auf Erstattung der Kosten für die Durchführung einer ihrer Hauptversammlungen in Anspruch genommen. Die weiteren Antragsteller sind dem Rechtsstreit auf Seiten des Antragstellers zu 1. beigetreten. Die weitere Beteiligte hat ihr Akteneinsichtsgesuch im Wesentlichen damit begründet,
sie sei Aktionärin der AG und benötige die Akteneinsicht, um zu überprüfen, ob mit dem vor dem Landgericht Berlin geführten Rechtsstreit durch die AG deren Vermögen zweckentfremdet eingesetzt oder veruntreut werde.
Den Antrag der Antragsteller auf gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter, unter Aufhebung und Abänderung des Bescheides des Antragsgegners der weiteren Beteiligten keine Akteneinsicht zu gewähren, hilfsweise die Akteneinsicht auf "eine im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung in der Sache" zu beschränken, äußerst hilfsweise, Akteneinsicht nur zu gewähren "als alle den Antragsteller [zu 1.] betreffenden Sachverhalte geschwärzt" werden".
II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, insbesondere aufgrund der - für das Rechtsbeschwerdegericht nach § 29 Abs. 2 Satz 2 EGGVG bindenden - Zulassung gemäß § 29 Abs. 1 EGGVG statthaft, jedoch unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid des Antragsgegners, der weiteren Beteiligten uneingeschränkt Akteneinsicht zu gewähren, verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Anträge auf gerichtliche Entscheidung seien zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei nicht rechtswidrig im Sinne von § 28 Abs. 1 und 3 EGGVG. Der Antragsgegner habe zutreffend angenommen, die weitere Beteiligte habe ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht. Ihre Stellung als Aktionärin ergebe sich aus der Depotmitteilung einer Bank. § 131 AktG stehe einem rechtlichen Interesse nach § 299 Abs. 2 ZPO nicht entgegen. Ermessensfehler (§ 28 Abs. 3 EGGVG) seien nicht erkennbar. Ein besonderes Geheimhaltungsinteresse hätten die Antragsteller nicht vorgetragen. Dem Umstand, dass Organmitglieder der weiteren Beteiligten in dem Bezugsrechtsstreit als Zeugen in Betracht kämen, habe der Antragsgegner kein erhebliches Gewicht beimessen müssen. Dies gelte umso mehr, als konkrete Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der von den Antragstellern in den Raum gestellten Beweisaufnahme fehlten. Neues Vorbringen der Antragsteller im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung könne eine Ermessensverletzung des Antragsgegners nicht begründen.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) In Übereinstimmung mit der Senatsrechtsprechung geht das Oberlandesgericht - wie auch bereits der Antragsgegner - davon aus, ein rechtliches Interesse im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO setze voraus, dass persönliche Rechte desjenigen, der Akteneinsicht nehmen will, durch den Inhalt der Akten berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben und verlangt als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache (Senatsbeschluss vom 5. April 2006 - IV AR(VZ) 1/06, MDR 2006, 947 [juris Rn. 15]).
b) Rechtsfehlerfrei hat das Oberlandesgericht seinen Maßstab für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Antragsgegners § 28 Abs. 3 EGGVG entnommen, wonach die Entscheidung des Antrags-gegners nur darauf überprüft werden kann, ob die beabsichtigte Gewährung der Akteneinsicht für die weitere Beteiligte die gesetzlichen Grenzen des dem Antragsgegner nach § 299 Abs. 2 ZPO eingeräumten Ermessens überschreitet oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Anders als die Rechtsbeschwerde meint stand dem Oberlandesgericht eine Kompetenz zur Ersetzung der behördlichen Zweckmäßigkeitserwägungen durch eine eigene Beurteilung nicht zu (MünchKomm-ZPO/ Pabst, 6. Aufl. § 28 EGGVG Rn. 18; vgl. auch OLG Hamm NStZ-RR 2008, 357 [juris Rn. 12]).
c) Hieran gemessen gelingt es der Rechtsbeschwerde nicht, einen Rechtsfehler des Oberlandesgerichts aufzuzeigen.
aa) Wegen des nur eingeschränkten, auf die Überprüfung der ordnungsgemäßen Ausübung des Ermessens durch den Antragsgegner begrenzten Prüfungsumfangs des Oberlandesgerichts (vgl. § 28 Abs. 3 EGGVG) hatten bei dessen Entscheidung - wie auch das Oberlandesgericht nicht verkennt - solche Gesichtspunkte außer Betracht zu bleiben, die von den Antragstellern erstmals im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG oder mit der Begründung der Rechtsbeschwerde vorgetragen worden sind. Dies betrifft insbesondere die erstmals nach der Entscheidung des Antragsgegners vom 15. Februar 2022 durch den Antragsgegner zu 1. vorgetragenen besonderen Umstände der Beziehungen der Aktionäre der AG untereinander.
bb) Auch den weiteren Angriffen der Rechtsbeschwerde hält die Entscheidung des Oberlandesgerichts stand.
Dies gilt zunächst für den Einwand der Antragsteller, Organmitglieder könnten als Zeugen in dem zwischen der AG und den Antragstellern geführten Zivilverfahren in Betracht kommen. Schon mangels Substanz der Begründung der diesbezüglichen Bedenken der Antragsteller konnte das Oberlandesgericht davon ausgehen, dass die Entscheidung des Antragsgegners, dies nicht für ausreichend zu halten, um das Akteneinsichtsgesuch abschlägig zu bescheiden, auch ohne nähere Erläuterung einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung entspricht.
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, macht die weitere Beteiligte ihr Akteneinsichtsgesuch auch nicht auf der Grundlage ihrer Rechtsstellung als Aktionärin lediglich "für sich genommen" geltend (vgl. zum Akteneinsichtsrecht des Kommanditisten BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020 - IX AR(VZ) 2/19, MDR 2021, 124 Rn. 15 f.). Vielmehr beruft sich die weitere Beteiligte zur Begründung ihres Gesuchs erkennbar darauf, sie benötige Informationen aus den Prozessakten, um prüfen zu können, ob die Geltendmachung von Aktionärsrechten wegen der Führung einer konkreten rechtlichen Auseinandersetzung in Betracht kommt (vgl. hierzu BGH aaO Rn. 18).
Rechtlicher Überprüfung hält auch stand, dass das Oberlandesgericht die Entscheidung des Antragsgegners für ermessensfehlerfrei gehalten hat, obwohl dieser Erwägungen dazu unterlassen hat, ob durch seine Entscheidung das "allgemeine Persönlichkeitsrecht der Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG" der Antragsteller gewahrt ist. Zu Recht weist das Oberlandesgericht insoweit darauf hin, dass eine solche Beeinträchtigung für jeden Fall der Akteneinsicht charakteristisch ist. Ob wegen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens ausnahmsweise etwas anderes gilt, hatte der Antragsgegner schon deshalb nicht in Betracht zu ziehen, weil substantiierter Vortrag hierzu bis zur Entscheidung des Antragsgegners nicht gehalten wurde.
Anders als die Rechtsbeschwerde meint, bestand schon für den Antragsgegner angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 299 Abs. 2 ZPO keine Veranlassung, eine entsprechende Anwendung von Rechtsbegriffen aus anderen gesetzlichen Regelungen - wie dem berechtigten Interesse aus § 31 Abs. 1 PatG - bei seiner Ermessensentscheidung in den Blick zu nehmen. Erst recht hält deshalb die Entscheidung des Oberlandesgerichts, dies nicht als fehlerhafte Ausübung des Ermessens anzusehen, einer rechtlichen Überprüfung stand.
Weiter lässt auch die Auffassung des Oberlandesgerichts keine Rechtsfehler erkennen, die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde vorrangige Möglichkeit der Inanspruchnahme aktienrechtlicher Regelungen wie etwa § 131 AktG durch die weitere Beteiligte zum Erhalt von Informationen habe der Antragsgegner nicht in seine Ermessenserwägungen einfließen lassen müssen. Eine solche Verpflichtung des Antragsgegners lässt sich § 299 Abs. 2 ZPO nicht entnehmen.
Schließlich hält auch die Annahme des Oberlandesgerichts rechtlicher Überprüfung stand, der Antragsgegner habe den Vortrag der weiteren Beteiligten zur Begründung ihres Akteneinsichtsgesuchs - nämlich den Erhalt von Informationen über die Hintergründe der Inanspruchnahme u.a. des Antragstellers zu 1. durch die AG auf Zahlung von Schadenersatz - im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessensspielraums für ausreichend halten können. Eine anderweitige Befriedigung des Informationsbedürfnisses der weiteren Beteiligten war hier für den Antragsgegner nicht erkennbar; insbesondere konnte die Teilnahme von Bevollmächtigten und Mitgliedern des Vorstandes der weiteren Beteiligten an der Hauptversammlung entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht die Kenntnis vom Vortrag der Parteien im Rahmen des Zivilprozesses zwischen der AG und u.a. dem Antragsteller zu 1. ersetzen.
III. Die Wertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf §§ 1 Abs. 2 Nr. 19, 36 Abs. 3 GNotKG.
Prof. Dr. Karczewski Harsdorf-Gebhardt Dr. Brockmöller Dr. Bußmann Dr. Bommel Vorinstanz: KG Berlin, Entscheidung vom 16.02.2023 - 1 VA 3/22 -