VIa ZR 112/22
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 112/22 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 16. Oktober 2023 Billet Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2023:161023UVIAZR112.22.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, den Richter Liepin und die Richterin Dr. Vogt-Beheim für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 16. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht den Berufungsantrag zu I hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von 36.193,94 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des im Antrag näher bezeichneten Fahrzeugs sowie die Berufungsanträge zu II und zu III insgesamt zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Klägerin kaufte am 14. November 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten BMW X1, der mit einem Motor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6c) ausgerüstet ist. Sie macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, unter anderem in Gestalt einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster), und nimmt die Beklagte deshalb auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 36.193,94 € nebst Prozesszinsen zuzüglich ausgerechneter Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu I). Ferner hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu II) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu III) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin mit Ausnahme der Deliktszinsen ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB sei mangels sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht gegeben. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung reiche nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Die weitere Behauptung der Klägerin, ihr Fahrzeug verfüge über weitere unzulässige Abschalteinrichtungen, erfolge ohne greifbare Anhaltspunkte "ins Blaue hinein". Entgegen der Ansicht der Klägerin ergebe sich ein Anspruch auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 27 Abs. 1 EG-FGV. Diese Vorschrift sei kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung eines Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Menges Möhring Krüger Liepin Vogt-Beheim Vorinstanzen: LG Köln, Entscheidung vom 27.01.2021 - 17 O 27/20 OLG Köln, Entscheidung vom 16.12.2021 - 11 U 41/21 -