3 StR 313/24
BUNDESGERICHTSHOF StR 313/24 BESCHLUSS vom 7. August 2024 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug ECLI:DE:BGH:2024:070824B3STR313.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag - am 7. August 2024 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 31. Mai 2023 aufgehoben a) im Strafausspruch, b) im Ausspruch über die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe: 1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Daneben hat es angeordnet, dass ein Monat der Strafe als verbüßt gilt, und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Straf- und Kompensationsausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Einziehungsausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Das Urteil hält jedoch hinsichtlich der vier Einzelstrafen von je vier Monaten Freiheitsstrafe sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn das Landgericht hat es - entgegen § 267 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StPO - versäumt, sich in den Urteilsgründen mit den Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen. Es gilt:
Die Festsetzung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat regelmäßig nur Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist und dies in den Urteilsgründen dargestellt wird (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 8. Mai 1996 - 3 StR 133/96, BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7; vom 8. April 2004 - 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554; Beschlüsse vom 10. Juni 2020 - 3 StR 135/20, NStZ-RR 2020, 273; vom 23. Januar 2024 - 3 StR 455/23, juris Rn. 9 ff.). Die gleichzeitige Verurteilung des Angeklagten zu einer hohen weiteren Freiheitsstrafe oder - wie hier - zu einer sechs Monate erreichenden oder übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe macht die Erörterung nicht entbehrlich; die Prüfung ist vielmehr für jede einzelne Tat vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1989 - 3 StR 453/89, BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 4; vgl. ferner BGH, Urteil vom 17. November 1994 - 4 StR 492/94, BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 9).
Die Verurteilung zu kurzen Freiheitsstrafen war vorliegend nicht derart offensichtlich geboten, dass das Urteil auf der unterbliebenen Erörterung nicht beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Es drängt sich weder auf, dass Freiheitsstrafen unverzichtbar sind, weil die - über 13 Jahre zurückliegenden - Taten ein auffällig hohes Maß an krimineller Energie oder einen Seriencharakter aufweisen, noch liegt auf der Hand, dass besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten eine solche Einwirkung auf ihn unerlässlich machen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. August 2008 - 1 StR 382/08, juris; vom 12. Dezember 2023 - 1 StR 16/23, NStZ 2024, 476 Rn. 4 f.). Der 69-jährige Angeklagte ist vielmehr unbestraft sowie nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen durch die lange Verfahrensdauer psychisch belastet. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat angesichts seiner positiven Sozialprognose „ohne Weiteres“ zur Bewährung ausgesetzt werden können (zu besonderen Begründungsanforderungen bei Verhängung kurzer Freiheitsstrafen unter gleichzeitiger Strafaussetzung zur Bewährung s. etwa OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13. Januar 2022 - 1 OLG 2 Ss 66/21, NStZ-RR 2022, 111, 112).
Nach allem ist die Festsetzung von Einzelgeldstrafen (vgl. auch BGH, Urteil vom 17. November 1994 - 4 StR 492/94, BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 9) nicht sicher ausgeschlossen. Deshalb unterliegen die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe der Aufhebung.
3. Die Entscheidung über die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bleibt von der Aufhebung des Strafausspruchs an sich unberührt (BGH, Urteile vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135 Rn. 8; vom 19. März 2024 - 3 StR 349/23, juris Rn. 26). Sie begegnet hier jedoch eigenen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil auch sie an einem Erörterungsmangel leidet. Angesichts des unter dem Gesichtspunkt der Verzögerung festgestellten zeitlichen Abstands von fast sechseinhalb Jahren zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung sowie der weiteren Feststellung, dass die lange Verfahrensdauer den Angeklagten psychisch besonders belastet hat, hätte näherer Darlegung bedurft, warum das Landgericht eine Kompensation von nur einem für vollstreckt erklärten Monat als angemessen erachtet hat. Dies findet hier auf die Sachrüge Beachtung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2020 - 3 StR 99/19, juris Rn. 24; vom 16. November 2021 - 3 StR 378/21, NStZ-RR 2022, 122 mwN). Hinzu kommt, dass mittlerweile eine zusätzliche Verzögerung eingetreten ist; denn nach Begründung der Revision am 21. August 2023 ist die Akte erst am 8. Juli 2024 beim Generalbundesanwalt eingegangen.
4. Die jeweils zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten Erörterungsmängeln unberührt und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen, die den aufrechterhaltenen nicht widersprechen, sind möglich Berg Anstötz Erbguth Kreicker Welnhofer-Zeitler Vorinstanz: Landgericht Oldenburg, 31.05.2023 - 1 KLs 940 Js 44584/15 (47/17)