VIa ZR 452/23
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VIa ZR 452/23 URTEIL in dem Rechtsstreit Verkündet am: 14. Mai 2024 Neumayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR452.23.0 Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 auf Zahlung von 25.089,32 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Dezember 2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs und auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in Höhe eines Betrags von 4.027,49 € sowie der Berufungsantrag zu 2 zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte am 9. April 2014 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), deren Aktivierung die Erwärmung des Motors verzögert.
Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von 25.089,32 € (Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 12.610,68 €) nebst Verzugszinsen seit dem 5. September 2018 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangt sowie den zunächst auf Zahlung eines weiteren Betrags von 5.546,06 € und von Deliktszinsen seit dem 17. April 2014 gerichteten Antrag einseitig für erledigt erklärt (Berufungsantrag zu 1). Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt (Berufungsantrag zu 2). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat überwiegend Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Kläger habe einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht schlüssig dargetan. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, und dies für die KSR unterstellt werden. Der Kläger habe jedoch weder tatsächliche Anhaltspunkte für die Prüfstandsbezogenheit der Einrichtungen aufgezeigt noch sonstige Umstände vorgebracht, die das Vorgehen der Beklagten als sittenwidrig erscheinen ließen. Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV komme nicht in Betracht. Die Vorschriften der EG-FGV stellten keine Gesetze dar, die den Schutz eines Fahrzeugerwerbers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags bezweckten und ihm bei fahrlässiger Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen individuellen Schadensersatzanspruch gewährten.
II.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Das Berufungsurteil hat gleichwohl Bestand, soweit der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 1 Zinsen vom 5. September 2018 bis zur Zustellung der Klageschrift am 27. Dezember 2018 begehrt und den Antrag hinsichtlich der vom 17. April 2014 bis zum 4. September 2018 verlangten Deliktszinsen für erledigt erklärt hat. Insoweit stellt sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Der Kläger kann von der Beklagten Zinsen allenfalls seit Eintritt der Rechtshängigkeit verlangen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Beklagte ist durch die vorgerichtliche Mahnung des Klägers nicht in Verzug geraten. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger die Zahlung auch von Deliktszinsen verlangt und daher einen weit übersetzten Betrag begehrt, von dem er die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs abhängig gemacht hat. Unter diesen Umständen scheidet ein Schuldnerverzug aus (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 86; Urteil vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 34; Urteil vom 27. Februar 2024 - VIa ZR 1208/22, juris Rn. 11). Deliktszinsen konnte der Kläger von Anfang an nicht beanspruchen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2023 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; Urteil vom 29. November 2023 - VI ZR 376/20, VersR 2023, 386 Rn. 8).
IV.
Im Übrigen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach
§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Wille Möhring Liepin Krüger Vorinstanzen: LG Stuttgart, Entscheidung vom 13.06.2019 - 6 O 203/18 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 28.02.2023 - 16a U 225/19 -