StB 52/24
BUNDESGERICHTSHOF StB 52/24 2 StE 7/20-5a BESCHLUSS vom 12. September 2024 in der Strafvollstreckungssache gegen wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung als Rädelsführer u.a.
hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung ECLI:DE:BGH:2024:120924BSTB52.24.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. September 2024 gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 5 Variante 5 StPO beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Juli 2024 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
1. Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführer am 30. November 2023 wegen rädelsführerschaftlicher Gründung einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil, dessen schriftliche Begründung hier noch nicht vorliegt, ist seit dem 4. März 2024 rechtskräftig, nachdem der Verurteilte seine dagegen eingelegte Revision zurückgenommen hat.
Im Wesentlichen liegt der Verurteilung zugrunde, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit dem Mitangeklagten S.
eine Gruppierung aufbaute,
die durch bewaffnete Anschläge auf Moscheen einen Bürgerkrieg entfachen und das politische System in Deutschland umstürzen wollte. Hinsichtlich der Einzelheiten der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen wird auf die Darstellung im angefochtenen Beschluss verwiesen. Durch diesen hat der Staatsschutzsenat die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung nach der - am 14. August 2023 erreichten - Verbüßung von zwei Dritteln abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat keinen Erfolg.
2. Die statthafte (§ 454 Abs. 3 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 5 Variante 5 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO) sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung ist unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten. Der sorgfältig begründeten Entscheidung des Oberlandesgerichts ist auch eingedenk des Beschwerdevorbringens beizutreten.
a) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt die Aussetzung der Vollstreckung des Rests einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung voraus, dass dem Verurteilten eine günstige Prognose für eine Legalbewährung in Freiheit gestellt werden kann. Dabei sind an die Erwartung künftiger Straffreiheit umso strengere Anforderungen zu stellen, je gewichtiger die durch einen möglichen Rückfall bedrohten Rechtsgüter sind. Die vorzunehmende Abwägung zwischen den zu erwartenden Wirkungen der bereits erlittenen Freiheitsentziehung und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit kann auch bei dem Bereich des Staatsschutzes zuzuordnenden Straftaten zu dem Ergebnis führen, dass es verantwortbar ist, vom weiteren Strafvollzug abzusehen; die Voraussetzungen für eine positive Kriminalprognose dürfen in diesem Bereich nicht so hoch angesetzt werden, dass dem Verurteilten letztlich kaum eine Chance auf vorzeitige Verschonung von der Haft bleibt. Insbesondere wenn sich ein terroristischer Straftäter im Vollzug ordnungsgemäß führt und von seiner früheren Bereitschaft, Gewalttaten zu begehen oder zu fördern, glaubhaft distanziert, kann eine Strafrestaussetzung in Betracht kommen. Dazu ist es letztlich nicht zwingend erforderlich, dass der Verurteilte, der seine Tat während des gesamten Strafverfahrens und im Vollzug bestritten hat, sein strafbares Verhalten nunmehr einräumt (s. insgesamt BGH, Beschluss vom 2. November 2022 - StB 43/22, NJW 2022, 3729 Rn. 6 mwN).
b) Diese Maßstäbe hat das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung beachtet. Es hat unter anderem die Angaben des Verurteilten im Strafverfahren und im Termin zur persönlichen Anhörung am 15. Juli 2024 sowie Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalten bewertet und ist in einer überzeugenden Gesamtabwägung zu dem Ergebnis gelangt, dass für den Verurteilten derzeit keine hinreichend günstige Legalprognose gestellt werden kann. Dabei hat es alle prognoserelevanten Faktoren in den Blick genommen.
Zwar stellt es sich, wie vom Oberlandesgericht näher ausgeführt, als prognostisch günstig dar, dass sich der zuvor unbestrafte Verurteilte erstmals in Haft befindet und diese einschließlich der vorangegangenen Untersuchungshaft inzwischen über viereinhalb Jahre andauert. Im Vollzug verhält er sich weitgehend regelkonform und pflegt Außenkontakte, unter anderem zur Mutter seiner beiden Söhne und zu einer Freundin, mit der er während der Haft eine Beziehung begonnen hat und bei der er nach der Entlassung wohnen kann.
Dem stehen jedoch die gewichtigen im angefochtenen Beschluss ebenfalls aufgezeigten Gründe gegenüber. Gegen eine positive Sozialprognose sprechen vor allem die Schwere der vom Verurteilten geplanten Gewaltdelikte, die Gefährlichkeit der von ihm federführend aufgebauten Gruppierung sowie sein Tatmotiv der rechtsextremistischen Gesinnung, die er bereits zuvor in leitender Position in einem sogenannten Freikorps ausgelebt hatte.
c) Das Beschwerdevorbringen gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
aa) Die vom Oberlandesgericht getroffene Einschätzung, dass sich der Verurteilte im Laufe der Haft nicht von seinen rechtsradikalen Überzeugungen gelöst hat und deshalb nach wie vor gefährlich ist, ist entgegen den Ausführungen der Verteidigung nicht zu beanstanden.
Der Verurteilte hat zwar in verschiedenen Zusammenhängen ausgeführt,
er sei seit jeher und auch jetzt gegen Nationalsozialismus und Gewalt eingestellt.
Seine Angaben sind insoweit jedoch wenig glaubhaft und insgesamt bis zuletzt als hochambivalent zu bewerten. Denn sein Zusammenwirken mit S.
und seine Anwesenheit bei den Gruppentreffen hat er eingeräumt. Er will allerdings lediglich aus Naivität und aufgrund seines unkritischen Umgangs mit sozialen Medien in die rechte Szene geraten sein und nichts Böses oder Kriminelles im Sinn gehabt haben. Vielmehr sei er von Personen, denen er vorschnell Vertrauen entgegengebracht habe, manipuliert und instrumentalisiert worden. Noch in der Anhörung vom Juli 2024 hat der Verurteilte sein deliktisches Verhalten mit einer „misslichen Lage“ begründet, in die er geraten sei, und es auf Nachfrage als unproblematisch angesehen, dass er in einer von ihm maßgeblich organisierten Zusammenkunft der Vereinigung, in der konkret über Anschlagsziele und die dafür erforderliche Beschaffung von schweren Waffen gesprochen wurde, äußerte, er wolle selbst auch eine Waffe haben.
Unbeschadet des Umstands, dass seine Angaben größtenteils den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen widerstreiten, nach denen der Verurteilte neben S.
als treibende Führungskraft agierte, lassen sie in einer Gesamtschau eine tragfähige Distanzierung von dem rechtsradikalen Gedankengut und dem Hass auf Ausländer, die die Gruppe zusammenführten und ihre Mitglieder antrieben, nicht erkennen. Anstatt die deliktsursächlichen eigenen Persönlichkeitsdefizite aufzuarbeiten, verharmlost der Verurteilte sein Verhalten und sucht die Schuld bei anderen. Soweit er ausführt, die Tat zu bereuen, begründet er dies allein mit der vergeudeten Lebenszeit, die er rückblickend besser hätte nutzen können. Vor diesem Hintergrund können auch seine Angaben in der Anhörung, er werde sich nach seiner Entlassung neue Freunde suchen, nicht überzeugen.
Das Presseinterview, das der Verurteilte im Juni 2023 den Stuttgarter Nachrichten gegeben hat, zeigt entgegen der Beschwerdebegründung ebenfalls keinen Sinneswandel auf. In erster Linie hat er darin die schweren Haftbedingungen und die - vermeintliche - Unrichtigkeit der Anklagevorwürfe beklagt. Die Frage des Journalisten, ob sich seine Einstellung im Laufe der Haft geändert habe, hat er dahin beantwortet, er würde sich heute anders „positionieren“, um zu verhindern, dass ihm rechtes Gedankengut zugeordnet werde, und seine Freunde und Bekannten sorgfältiger auswählen. Ein klares Bekenntnis dazu, dass er rechtsradikale Gruppierungen und Terroranschläge ablehnt, zu deren Ausführung es vorliegend allein wegen der Festnahme der Beteiligten nicht mehr kam, ist dem Zeitungsartikel nicht zu entnehmen.
Nach allem ergibt sich - wie vom Oberlandesgericht zutreffend ausgeführt - eine unzureichende Tataufarbeitung, die bei dem hier in Rede stehenden Delikt eine besondere Wiederholungsgefahr bedingt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2018 - StB 3/18, NStZ-RR 2018, 228 f.).
bb) Entgegen den Darlegungen der Verteidigung ist eine weitere Aufklärung der Frage, ob sich der Verurteilte in einem „Aussteigerprogramm“ befindet, nicht geboten. Hierzu hat er ausgeführt, er sei jüngst in der Haft von Beamten des Staatsschutzes aufgesucht worden, habe diesen seine Kooperationsbereitschaft zugesagt und eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Diese Umstände sind in die Prognoseentscheidung des Oberlandesgerichts eingeflossen.
Weitere Angaben hat der Verurteilte insoweit nicht gemacht. Damit liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er seine kriminogene Einstellung hinterfragt, Hilfe von Deradikalisierungsexperten sucht oder überhaupt offen für ein „Aussteigerprogramm“ ist. Ausweislich seiner Anhörung sieht er für sich gerade keinen Aufarbeitungsbedarf.
cc) Der Hinzuziehung eines Sachverständigen hat es nicht bedurft, da davon unter den gegebenen Umständen keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten sind und nicht jede Prüfung, ob der Rest einer Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, zur Begutachtung des Verurteilten gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO verpflichtet (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 15. November 2022 - StB 50/22, NStZ-RR 2023, 29 mwN). Entgegen der Beschwerdebegründung ist die Sachlage des Verfahrens im Vergleich zu anderen nicht übermäßig komplex. Gleiches gilt für die Persönlichkeit und die Lebensumstände des Angeklagten.
d) Die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe ist unter Beachtung des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG verbürgten Freiheitsrechts des Beschwerdeführers nicht unverhältnismäßig. Das von der verurteilten Straftat sowie bei erneuter, ähnlich gelagerter Delinquenz bedrohte Rechtsgut des Lebens ist von solchem Gewicht, dass bei einer umfassenden Würdigung das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Freiheitsrecht des Verurteilten nach wie vor überwiegt.
Schäfer Paul Erbguth